Die Online-Ausgaben von Spiegel und Süddeutscher Zeitung gefallen mir wegen inhaltlicher Verseichtung in letzter Zeit immer weniger, da kann auch gutes Webdesign nichts mehr reißen. Daß freilich mal die knochenkonservative F.A.Z. in ihrer Mobilkanal-Fassung zu meiner favorisierten Zug‑, Wartezimmer- und Intimbox-Handlektüre avancieren würde, hätte ich nicht für möglich gehalten. Ist aber so. Nicht zuletzt wegen wunderbarer Artikel wie der über die venezianischen Gondeln !
Herman schlachten – oder: Mutter Eva redet Wirres
Nur weil man hier doch gern der Genauigkeit huldigt – ...
... hier einmal das Transkript der unsäglichen (oder: unaussprechlichen?) Pressekonferenz der Frau Herman:
»Wir müssen den Familien Entlastung und nicht Belastung zumuten und müssen auch eine Gerechtigkeit schaffen zwischen Kinderlosen und kinderreichen Familien. Und wir müssen vor allem das Bild der Mutter in Deutschland auch wieder wertschätzen lernen, das leider ja mit dem Nationalsozialismus und der darauf folgenden 68er praktisch alles das alles, was wir an Werten hatten, es war eine grausame Zeit, das war ein völlig durchgeknallter, hochgefährlicher Politiker, der das deutsche Volk ins Verderben geführt hat, das wissen wir alle, aber es ist damals eben auch das, was gut war, und das sind Werte, das sind Kinder, das sind Mütter, das sind Familien, das ist Zusammenhalt – das wurde abgeschafft. Es durfte nichts mehr stehenbleiben. Ich hab’ neulich mit einem Musikprofessor zusammengesessen, ein Linksintellektueller, früher fast ein Linksradikaler ein bißchen gewesen, ähm, der versucht, den Chorgesang wieder zu beleben in Hamburg. Und er sagt, das ist verlorengegangen, das ist garnicht mehr, äh, das ist garnicht mehr anwesend.«
So weit, so verwirrend. – Das jedenfalls referiert das Börsenblatt des deutschen Buchhandels unter Berufung auf den Verleger der besagten Dame.
Siehe auch: www.boersenblatt.net/160921/
#1
Ob blond, ob braun...
...niemand liebt dumme Frau’n: Auch der gescheite F.A.Z.-Kommentar zur Personalie Eva Herman gehört zum Besten, was zu diesem Thema derzeit zu lesen ist!
#2
Einen Vorstoß ...
... in eine ganz andere Richtung hat ja nun heute die über die Grenzen Fürths hinaus bekannte Lokalpolitikerin Frau Dr.Gabriele Pauli gemacht.
Da dieser ihr Vorstoß in profund überraschender Weise zeitgleich mit einem mich persönlich betreffenden Jubeltage einherging, habe ich mich genötigt gesehen, an die Initiatorin die folgende Anfrage zu stellen :
Liebe Frau Dr. Pauli,
meine Frau und ich haben heute zusammen mit unseren 3 Kindern den 15. Hochzeitstag gefeiert. Jetzt sind wir doch etwas besorgt, ob wir vielleicht schon den Termin verpasst haben, eine Verlängerung unserer Ehe zu beantragen. Das würde uns 5 sehr traurig stimmen. Ach bitte, sagen Sie uns, was wir jetzt noch tun können?
Können Ehe-Verlängerungen eigentlich auch von den Kindern beantragt werden? Unser Sohn erstellt am Computer sicher ein nettes Formular dazu!
Hochachtungsvoll & tief verbunden,
Ihr RJWeb
#3
Niemals geradeaus
Ja, der war göttlich, der Artikel.
Ich habe den zwar gut altmodisch-venezianisch auf Papier gelesen, war aber auch fasziniert.
Man stelle sich mal vor, dass die Gondeln nicht gut geradeaus fahren, wenn sie nicht mit zwei Passagieren beladen sind.
Wie machen die dann ihre »Betriebsfahrten«, wie es in Berlin bei der BVG heißt (und »Leerfahrt« in Frankfurt/M., da fällt mir auf, das wäre auch mal ein schönes Thema)?
Und dieses merkwürdig geformte Holz für das Ruder iss schon dolle.
Und sowieso: die FAZ ist das Beste, was man lesen kann. Nur nie, wirklich niemals, auf gar keinen Fall die Kommentare lesen, da überwintert die Hirnstarre in den Zeilen.
#4
Das vorgeschlagene Thema...
...geistert mir schon lange im Kopf herum, sieht man doch immer wieder Busse herumflitzen, die stirnseitig in leuchtenden Lettern »Werkstattfahrt«, »Fzg. rückt ein« oder gar »Schulungsfahrt« von sich behaupten. Meine eigene Renngurke bekennt sich stets und immerdar (da nicht im Lininendienst eingesetzt) zur griffig-geheimnisvollen »Sonderfahrt«. Mal sehen, ob ich das alles bei Gelegenheit lichtbildnerisch subsummieren kann...
P.S.: Dein Nachsatz zu den Kommentaren in der F.A.Z. trifft den Nagel auf den Kopf, aber voll!
#5
... und zwar nicht nur in der F.A.Z., die Einseitigkeit der Kommentare ist leider in vielen großen und kleinen Blättern zu beklagen.
Bei allem angebrachten Respekt vor dem zonebattler, auch den Kommentar zu Eva Herman fand ich nicht besonders geistreich. Sich in ihrem Fall einseitig in Häme zu wälzen kann eigentlich jeder, dazu brauch man weder venezianisches Papier noch angeleinte Elektronen. Es hätte mich viel mehr auch eine Auseinandersetzung damit interessiert, wie teilweise schnöde in unserer Gesellschaft der Umgang mit Andersdenkenden läuft, und zwar nicht nur in diesem Fall.
Nix für ungut ;-)
#6
Ratzfatz – hoch die Hatz
Lieber RJWeb,
völlig einverstanden.
Habe konkret besagten Kommentar des zonebattler leider nicht gelesen, – so kann ich ihm auch nicht ehrenrettend zur Seite stehen, ... ihn da raus halten ...
... aber sonst und drüberhin ist es freilich in der Tat recht undialektisch, was sich zuweilen so öffentliche Reaktion schimpft.
Das hat in den meisten Fällen etwas von Hexenjagd oder schlimmer noch: von Hatz im Pferch – bzw.: wenigstens von einem Reiz-Reaktions-Schema.
Nur um Missverständnissen vorzubeugen:
Nein, Eva Hermann hat in mir – nun beim besten Willen – keinen Anwalt. Aber es ist (kennt man Ausschnitte aus der mokierten Pressekonferenz, die als Grund für ihre Entlassung angeführt wird) schon fast zu offensichtlich, dass man hier gewartet, ja gelauert hat, bis sich das Häschen eine Grube grub, um sie dann in selbige zu schubsen.
Aber das analoge Muster gibt es im Umgang mit Klima-Andersdenkenden (nein, ich bin keiner, aber andere Interpretationen sind wenigstens denkbar) mit Vetretern des intelligent design (nein, ich bin keiner, aber andere Interpretationen sind wenigstens denkbar) etc. etc.
Und der Grundsatz in dubio pro reo scheint auch in der Berichterstattung über justiable Fälle keine Tugend mehr zu sein: Vorverurteilung allerorten – ja gerade noch kein Lynchmob, ... aber wer weiß wann? Der Pranger für Verdächtige ...
Mit gutem Gruß in die freundliche Runde.
#7
Um ein Mißverständnis...
...aufzuklären: Ich habe drüben in der F.A.Z. nichts kommentiert, ich habe nur den Artikel über die naive Blondine Eva Herman als Kommentar klassifiziert und ihm inhaltlich zugestimmt. Als Medien-Insiderin sollte man/frau wissen, wie die Medien funktionieren und wie schnell einen eine derartige Entgleisung zu Fall bringen kann, ja zu Fall bringen muß!
#8
Was uns vor Augen kommt – Lesefreuden, Leseschwächen ... FAZ und mehr
Bevor hier die Frankfurter Papierhalde (in Fraktur!) nur und ausschließlich (aus und) über den grünen Klee gelobt wird, hier doch ein wenig Widerspruch – ...
... bei allem verdienten Beifall, versteht sich.
Ja, die FAZ widersteht – im Großen und Ganzen – der allfälligen Focus’ierung der Medienlandschaft, deren Hauptprämisse die durchschnittliche Dummheit ihrer Nutzer, Leser, bzw. Grafiken-Angucker ist.
Aber tut sie das nun als Anspruch oder aus Trägheit?
So gibt es aus der FAZ eben auch derbste Blödheiten zu vermelden, hanebüchene Analysen und Ideologeme allerorten, journalistische Schnellschüsse, Konservatismen, professorales Gebrabbel und bischöfliche Weihen, wohlfeil formulierte Plattheiten und ausgewalzte Langeweile.
Also bitte ... es ist nicht alles klug, was da aus Frankfurt so druckerschwarz daher kommt.
Was ich – um hier mal konstruktiv zu werden – dagegen als echtes und beinahe uneingeschränktes Plaisir zu loben habe, ist der (zumindest juristische) Erzfeind der FAZ, nämlich ...
... der perlentaucher
(d.i. www.perlentaucher.de/) ...
... und dortselbst dann die mir besonders liebe »Magazinrundschau«.
Nun gut, die »Bücherschau des Tages«, der »Medienticker« oder – das spätestens seit Spiegel Online recht bekannte – »Heute in den Feuilletons« sind freilich auch zu erwähnen – und mit einem Lächeln zu bedenken.
Kurz: Es ist ein Portal zu gutem Journalismus.
Nun ja, könnte man da einwenden, das hieße doch Äpfel mit Birnen zu vergleichen, Fallobst mit Kletterpflanzen, Monokultur mit einem Biotop ...
Aber nein, es wirft nur einen anderen Blick auf potentiell Lesbares.
Meint:
Der perlentaucher taucht durchaus auch nach den (zweifellos vorhandenen, aber IMHO doch relativ wenigen) Perlen der FAZ, aber eben nicht _nur_ ...
... denn da sind ja auch noch die Kostbarkeiten der taz, der Frankfurter Rundschau, der ZEIT, the Best of SZ und NZZ und obendrein: die Weltwoche, der Tagesspiegel, das du, Guardian, Times und New York Times, The New Yorker, Le Monde, Gazeta Wyborcza, The Spectator, Outlook India, L‘Espresso usw. usw. usf. ... dass es eine Freude ist.
Ein Füllhorn!
Oder: Warum sich mit weniger bescheiden?
#9
Herzlichen Dank...
...für den Hinweis auf den Perlentaucher, dessen Tauchtiefe ich gerne eruieren mag. Wiewohl ich das dreispaltige Webdesign auf den ersten Blick weder besonders attraktiv noch übersichtlich finde, will ich mich davon nicht abschrecken lassen...
Mein persönlicher Favorit ist übrigens brand eins Online, woraus ich hier und da schon einzelne Artikel empfohlen habe. Bis auf das jeweils aktuelle Heft sind alle Ausgaben online im Volltext kostenfrei verfügbar. Der einzige Haken des brillant geschriebenen Magazines liegt in der (wenn auch recht weitgefaßten) thematischen Fokussierung auf Wirtschaftsthemen. Da fehlt unsereinem dann schon das Feuilleton, irgendwie...
#10
Natürlich ebenso bei allem Respekt: Wenngleich in deutschen Ohren ‘canale’ wesentlich italienischer klingen mag, heißt die lieblich zum Fragezeichen geschlungene Hauptwasserstraße Venedigs dennoch ‘Canal grande’. ;)
#11
Oh?
Ich meinte recht eigentlich und durchaus doppeldeutigerweise den virtuellen (Zeitungs-)Kanal, welchen ich mir auf mein omnipräsentes Zauberkästlein zu synchronisieren pflege. Aber auch dessen Geschlecht wird das gleiche und mithin grammatikalisch analog zur Wasserstraße zu behandeln sein. Wieder was dazugelernt, dankeschön! :-)
P.S.: Wie klingt das denn in österreichischen Ohren? Gänzlich anders als in germanischen?
#12
So mancher Österreicher ist sich nicht zu schade, einen anderen beliebten italienischen Urlaubsort als ‘Tscha-oa-le’ zu titulieren. Das sollte eigentlich schon alles sagen. ;)
Der Kanal im allgemeinen wird als ‘Kanäu’ behandelt.
Was aber den großen venezianischen Kanal betrifft, sind geschätzte 90% der Österreicher im selben Canale-Irrtum. Irgendwann wird auch gesetzlich festgeschrieben werden, dass das richtig ist, was alle sagen, und spätestens dann werde ich gezwungen sein, mir meine Klugscheißereien zu sparen. ;))
#13
Bloß nicht!
Wir Klugscheißer müssen zusammenhalten, nur gemeinsam sind wir stark! ;-)
#14
So, jetzt wo ich endlich auch mal in Venedig war, ist mir der Schreibfehler im Beitragstitel unerträglich geworden, weshalb ich aus dem »Canale Grande« das überflüssige »e« gestrichen habe...
#15