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zonebattler's homezone 2.1 - Merkwürdiges aus Fürth und der Welt


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Land der Lu­pi­nen und La­krit­zen (2)

Schon am zwei­ten Ta­ge un­se­res Auf­ent­hal­tes mach­ten wir uns selb­dritt auf zu ei­ner klei­nen Städ­te­tour in das knapp 50 km süd­öst­lich ge­le­ge­ne Norr­kö­ping.[1] Bis in die 1960er Jah­re hin­ein war die Stadt ein Zen­trum der Tex­til­in­du­strie, da­nach ging es wirt­schaft­lich steil berg­ab auf­grund sich wan­deln­der Kon­sum­ge­wohn­hei­ten und vor al­lem we­gen der star­ken Kon­kur­renz aus fern­öst­li­chen Bil­lig­lohn­län­dern. Das En­de der Ge­schich­te ken­nen wir aus ei­ge­ner An­schau­ung, die Baum­woll­in­du­strie Er­lan­gen-Bam­berg Ak­ti­en­ge­sell­schaft (ERBA) läßt grü­ßen...

Im­mer­hin ha­ben sich in Norr­kö­ping trotz auch dort vor­ge­kom­me­ner Ab­riß­or­gi­en et­li­che an­sehn­li­che In­du­strie­bau­ten er­hal­ten, die heut­zu­ta­ge ver­schie­den­ste Nach­nut­zung durch Be­hör­den, Start­ups, In­sti­tu­te und kuk­tu­rel­le Ein­rich­tun­gen er­fah­ren:

saniertes Industriegebäude in Norrköping

Um dem Ver­lust von Ar­beits­plät­zen in der Tex­til­in­du­strie et­was ent­ge­gen­zu­set­zen, wur­den An­fang der 1970er Jah­re ei­ni­ge staat­li­che Be­hör­den aus der Haupt­stadt Stock­holm nach Norr­kö­ping ver­la­gert. Der Ver­gleich mit Fürth, Grun­dig, Quel­le und dem Baye­ri­schen Lan­des­amt für Sta­ti­stik drängt sich da ge­ra­de­zu auf: Ähn­li­che Pro­ble­me wer­den halt al­ler­orts mit ähn­li­chen Me­tho­den be­kämpft...

Wo der Ab­riß­bag­ger in Norr­kö­ping Al­tes ver­nich­tet hat, um Neu­em Platz zu schaf­fen, ist oft­mals ar­chi­tek­to­nisch durch­aus Vor­zeig­ba­res ent­stan­den. Der Kon­trast hat sei­ne äs­the­ti­schen Rei­ze, wenn­gleich sich frag­los nur ei­ne dün­ne Schicht Gut­ver­die­ner das Le­ben im üp­pig ver­gla­sten Stadt­l­oft lei­sten kann:

Neubau im Herzen Norrköpings, am Motala ström

Wir schlen­der­ten noch ein Weil­chen am Mo­ta­la ström ent­lang und durch die sonn­täg­lich ru­hi­ge In­nen­stadt und be­fan­den schluß­end­lich: Ja, hier lie­ße es sich wohl le­ben. Ins­be­son­de­re dann, wenn ei­nem das plat­te Land als zu ein­sam vor­kommt und die Me­tro­po­le Stock­holm als zu groß...

Aber mit der In­spi­zie­rung Norr­kö­pings war der Tag ja noch nicht an­nä­hernd ge­füllt: Hei­ter wei­ter ging es da­her in Rich­tung Ost­see­kü­ste, al­so er­neut nach Süd­osten. Da­bei ka­men wir durch ei­nen Ort mit dem denk­bar kür­ze­sten Na­men, der es al­lein des­halb schon ver­dient, hier fest­ge­hal­ten zu wer­den (Ku­rio­si­tä­ten sind ja ein gern ge­rit­te­nes Stecken­pferd des Be­richt­erstat­ters):

Ortschild von Å

Ja, der Ort heißt wirk­lich »Å«...[2] Ziel und Wen­de­punkt un­se­res Ta­ges­aus­flugs war in­des Tyr­is­löt, von wo aus man – am Ufer der Schä­ren­mee­res ste­hend – di­ver­se Schä­ren se­hen kann. Hun­der­te, nein Tau­sen­de In­seln säu­men die Kü­sten, bis zum of­fe­nen Meer wä­re man stun­den­lang un­ter­wegs. In­ter­es­sant ist die Er­kennt­nis, daß sich die nach Ab­schmel­zen der eis­zeit­li­chen Glet­scher im Wort­sin­ne »er­leich­ter­ten« Land­mas­sen auch heu­te noch – wenn auch lang­sam – he­ben (Stich­wort: post­gla­zia­le Land­hebung), was da­zu führt, daß neue In­sel­chen en­ste­hen, be­reits vor­han­de­ne grö­ßer wer­den und frü­he­re Hä­fen ver­lan­den.

Lei­der war we­der Zeit noch Ge­le­gen­heit, mit ei­nem Post­boot durch das stei­ner­ne La­by­rinth zu schip­pern, aber das Ge­se­he­ne war schon ein­drucks­voll ge­nug. So mach­ten wir uns al­so auf den Rück­weg und steu­er­ten da­bei noch das pit­to­res­ke Städt­chen Söder­kö­ping an. An des­sen Nord­rand liegt der Göta-Ka­nal, und in dem wie­der­um fah­ren nost­al­gisch-schö­ne Pas­sa­gier­schif­fe wie die hier ex­em­pla­risch fest­ge­hal­te­ne »Lin­dön« her­um:

Dampfer »Lindön« im Göta-Kanal bei Söderköping

Söder­kö­ping gilt als ei­ne der best­erhal­te­nen mit­tel­al­ter­li­chen Städ­te Schwe­dens. Mei­ner ei­ner hät­te die vie­len Holz­häu­ser auf­grund ih­res ma­kel­lo­sen Er­hal­tungs­zu­stan­des nicht un­be­dingt bis zu­rück ins Mit­tel­al­ter da­tiert, aber ja, das Städt­chen hat Charme!

Über­haupt kam sich der Chro­nist stän­dig wie in ei­ner der aus Kin­der­ta­gen er­in­ner­li­chen Fern­seh­se­rie schwe­di­scher Pro­ve­ni­enz vor. Al­les so­zu­sa­gen ziem­lich put­zig-pip­pi­lang­strump­fig in die­sem in mul­ti­pler Hin­sicht mu­ster­gül­ti­gem Land...[3]

Holzhäuser in Söderköping

Als wir nach aus­gie­bi­ger Be­sich­ti­gung Söder­kö­pings den Ort ver­lie­ßen und die Heim­fahrt an­tra­ten, war es schon halb sie­ben Uhr abends. Ziem­lich ge­nau um 19 Uhr mach­ten wir dann noch bei Finspång in ei­nem Su­per­markt Sta­ti­on, um uns für die fol­gen­den Ta­ge zu ver­pro­vi­an­tie­ren und des Freun­des Spei­se­kam­mer zu fül­len.

Das sonn­täg­li­che (!) Ein­kaufs­er­leb­nis ver­dient ei­ne aus­führ­li­che Wür­di­gung. Zu­nächst ein­mal ist be­mer­kens- und fest­hal­tens­wert, daß auch an Sonn­ta­gen und bis in den spä­ten Abend ge­öff­ne­te Lä­den in Schwe­den nichts Be­son­de­res sind, son­dern ge­leb­te Nor­ma­li­tät. Kein Mensch kä­me hier auf die Idee, im an­geb­li­chen In­ter­es­se der Be­schäf­tig­ten ei­ne all­ge­mei­ne Sonn­tags­ru­he ein­zu­for­dern. Uns war es recht, wir schau­en uns in frem­den Lan­den im­mer ger­ne Su­per­märk­te von in­nen an, schon we­gen der un­ge­wohn­ten Pro­dukt­viel­falt und ‑ver­packun­gen. Die er­ste Über­ra­schung er­war­te­te uns aber be­reits im Ein­gangs­be­reich des Ein­kauf­zen­trums:

Batterie von Scannerpistolen

Tja, was sind das wohl für ei­gen­ar­ti­ge Ge­rät­schaf­ten, die da ih­rer Ent­nah­me durch den Kun­den har­ren? Ge­nau, Scan­ner­pi­sto­len! Mit die­sen Din­gern kann der Kun­de wäh­rend sei­nes Ein­kaufs­bum­mels selbst die ge­wähl­ten Pro­duk­te re­gi­strie­ren und ih­re Prei­se auf­ad­die­ren las­sen, bei au­to­ma­ti­scher Be­rück­sich­ti­gung al­ler ak­tu­el­len Ak­ti­ons­prei­se und Ra­bat­te, ver­steht sich. Aber hal­lo!

Un­ser Freund de­lek­tier­te sich an un­se­rer Ver­blüf­fung, zück­te läs­sig sei­ne Kun­den­kar­te, check­te da­mit am Au­to­ma­ten-Ter­mi­nal ein und be­kam ei­ne die­ser Scan­ner-Pi­sto­len zu­ge­wie­sen. Für die griff­be­rei­te Auf­wah­rung der per­sön­li­chen Re­gi­strier­kas­se ver­fügt je­der Ein­kaufs­wa­gen über ein ent­spre­chen­des Draht­körb­chen:

Scannerpistole in ihrer Halterung

Mit die­ser La­ser­ka­no­ne be­waff­net, macht sich der Kun­de no­lens vo­lens zum Kom­pli­zen der Be­triebs­wir­te, die ihm ei­nen Teil der per­so­nal­in­ten­si­ven Ar­beit zur Ei­gen­erle­di­gung über­tra­gen. Die da­für ge­währ­ten Preis­nach­läs­se und son­sti­gen Vor­tei­le ma­chen si­cher­lich nur ei­nen Bruch­teil der Per­so­nal­ko­sten aus, die man mit der flä­chen­decken­den Ein­füh­rung sol­cher Ge­rät­schaf­ten ein­spa­ren kann. Von den Mög­lich­kei­ten der Aus- und Ver­wer­tung der von den Kun­den frei­wil­lig, ne­ben­bei und mas­sen­haft ge­lie­fer­ten Da­ten zum in­di­vi­du­el­len Kon­sum­ver­hal­ten gar nicht zu re­den!

Dis­kus­sio­nen über das Pro und Con­tra sind in­des mü­ßig, was wir in Schwe­den pro­to­ty­pisch be­ob­ach­ten konn­ten, wird bei uns auch so kom­men, und zwar eher über kurz als über lang. Funk­tio­niert hat das Ein­le­sen der Pro­dukt­da­ten selbst­ver­ständ­lich pro­blem­los, und auch das Stor­nie­ren be­reits re­gi­strier­ter Pro­duk­te bei spon­ta­ner Um­ent­schei­dung war kein The­ma. Ein wei­te­res Fas­zi­no­sum schwe­di­scher Su­per­märk­te und Dis­coun­ter (deutsch­stäm­mi­ger in­klu­si­ve) sind üb­ri­gens die aus­la­den­den An­ge­bots­wän­de für sü­ße und sal­zi­ge Schütt­gü­ter:

Lakritz undd Gummibären galore!

Im Nach­hin­ein war es wo­mög­lich ein Feh­ler, di­ver­se la­krit­zo­ide Lecker­lis zwar in gro­ßer Viel­falt pro­bier­halb­er ein­zu­kau­fen, aber über­wie­gend erst nach der Heim­kehr nach Deutsch­land zu ver­ko­sten: Da wa­ren der­ma­ßen süch­tig ma­chen­de Ex­em­pla­re da­bei, die wir bei recht­zei­ti­gem Aus­pro­bie­ren vor Ort ki­lo­wei­se ge­bun­kert und bis zur Gren­ze des zu­läs­si­gen Ge­päck­ge­wich­tes in die Kof­fer ge­stopft hätten.[4]

Mit vol­lem Ein­kaufs­wa­gen ge­lang­ten wir schließ­lich im Kas­sen­be­reich an, den wir oh­ne zwi­schen­mensch­li­chen Kon­takt ver­lie­ßen, denn selbst­edend braucht es we­der für (bar­geld­lo­se) Zah­lung, Pi­sto­len­ab­ga­be und Kas­sen­bon-Kon­trol­le das Zu­tun ir­gend­wel­cher Mitarbeiter(innen). Üb­ri­gens auch nicht zur Al­ters­kon­trol­le, denn Spi­ri­tuo­sen mit mehr als 3,5 % Al­ko­hol­ge­halt be­kommt man oh­ne­hin nur in staat­li­chen Lä­den (zu deut­lich re­strik­ti­ve­ren Öff­nungs­zei­ten) zu kau­fen. Im schwe­di­schen Su­per­markt gibt’s we­der rich­ti­ges Bier noch Wein noch Ei­er­li­kör (letz­te­res zum ar­gen Ver­druß des En­des­un­ter­fer­tig­ten). So, aber nun Kof­fe­raum­klap­pe zu und ge­nug für heu­te. Bis bald!

 
[1] Die End­sil­be -kö­ping fin­det man bei schwe­di­schen Orts­na­men re­la­tiv oft. Die Aus­spra­che »-schöp­ping« deu­tet schon dar­auf hin, was da­mit be­zeich­net wird, näm­lich ei­ne Markt­ge­mein­de. So­was gib’s ja bei uns auch, sie­he Neu­markt.

[2] ...und ist da­mit so­zu­sa­gen das Ge­gen­teil der wa­li­si­schen Zun­gen­bre­cher-Ge­mein­de Ll­an­fairpwllgwyn­gyll­go­gerychwyrnd­robwlll­lan­ty­si­li­o­go­go­goch.

[3] Am Ran­de sei ver­merkt, daß ich aus­ge­rech­net die Kin­der­se­rie »Pip­pi Lang­strumpf« als grau­en­voll und zum Fremd­schä­men pein­lich in Er­in­ne­rung be­hal­ten ha­be. Mei­ne nun­mehr durch­aus vor­han­de­ne Af­fi­ni­ät zu Schwe­den exi­stiert al­so nicht we­gen, son­dern trotz die­ser me­dia­len Kind­heits-Re­mi­nes­zen­zen...

[4] Schon das al­lein ist ein hin­rei­chen­der Grund, spä­te­stens im näch­sten Jahr wie­der Schwe­den an­zu­steu­ern. Die in den dort er­hält­li­chen La­kritz-De­li­ka­tes­sen er­laub­ter­wei­se vor­han­de­nen Kon­zen­tra­tio­nen von Süß­holz und Am­mo­ni­um­chlo­rid (aka Sal­mi­ak) gibt’s bei uns in Deutsch­land al­len­falls in als »Er­wach­se­nen-La­kritz« de­kla­rier­ter Im­port­wa­re.

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Diskussion

  1. boomerang  •  3. Aug. 2016, 17:40 Uhr

    Was ist das für ein Ein­kau­fen, wenn man kein »Zwei­te Kas­sa bit­te!« in den Su­per­markt brül­len kann?

    #1 

  2. zonebattler  •  3. Aug. 2016, 18:21 Uhr

    Stimmt, in die­ser Hin­sicht ist die tech­ni­sche Auf­rü­stung na­tür­lich ein be­dau­er­li­cher Rück­schritt...

    #2 

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