Drama in einem Aufzug
Ein naßkalter Freitagabend Ende Januar. Stunden nach Büroschluß ist der zonebattler mit dem Zug nach Nürnberg gefahren, um sich aus der dienstlichen Teeküche den dortigen Kaffee-Automaten auszuborgen zwecks professioneller Koffeinisierung einer privaten Feierlichkeit. Bis zur planmäßigen Rückfahrt nach Fürth verbleibt nur eine Viertelstunde, darum muß jeder Handgriff sitzen: Wasserbehälter und Abtropfschale entleeren, den schweren Apparat in der mitgebrachten Tragetasche mittig plazieren, zwölf eingestaubte Weingläser zusätzlich abstauben. Nach Art geübter Klein-Ganoven wird der elaborate Coup schweigend, schnell und handlungssicher durchgezogen und die Etagentür bald wieder zugesperrt. Mit unerwartet schwerer Last bepackt steht der zonebattler sodann vor der Tür zum Lift, der zu seinem Erstaunen nicht mehr vor Ort ist, sondern von unten heraufgefahren kommt. Die Schiebetür gleitet auf, vier Augenpaare schauen erwartungsfroh durch den zum Zuge Strebenden hindurch.
zonebattler
(den Fahrstuhl betretend) Guten Abend, die Herren!
1. Blinder
Sind wir hier richtig beim Blindenschach?
zonebattler
Kaum. Sie wollen sicher zum Bayerischen Blinden- und Sehbehindertenbund. Der ist im ersten Stock...
2. Blinder
Dann fahren wir dahin!
Der Aufzug setzt sich nach oben in Bewegung.
Frauenstimme
Viertes Obergeschoß.
3. Blinder
Müssen wir da raus?
zonebattler
(nervös) Nein, nein. In dieser Etage ist ebenfalls das Trainingszentrum der Bahn. Sie müssen runter in die erste!
4. Blinder
Wir wollen nämlich zum Blindenschach.
zonebattler
(seufzend) Ich weiß. Mich halten Sie ja bereits in Schach.
Die Abfahrt des angepeilten Zuges rückt unerbittlich näher. Auf dem Tastenfeld des Liftes leuchten indes noch viele Zielknöpfe. Gemächlich geht es abwärts.
2. Blinder
(tastet suchend nach dem Bedienfeld)
zonebattler
Bitte nichts mehr drücken. Wir kommen schon dahin, wo Sie hin müssen.
Frauenstimme
Zweites Obergeschoß.
3. Blinder
(macht Anstalten, den sich öffnenden Aufzug zu verlassen) Ah, da sind wir ja!
zonebattler
(unter der zusehends einschneidenden Last der Tragegurte wimmernd) Aber nein, hier ist nur die Betriebskrankenkasse. Sie müssen noch einen Stock tiefer fahren!
4. Blinder
Wir haben hier heute ein Turnier!
zonebattler
Grmpf.
Frauenstimme
Erstes Obergeschoß: Bayerischer Blinden- und Sehbehindertenbund.
zonebattler
(Einen Anfall zur Raserei nur mühsam unterdrückend) Raus hier, hier sind Sie richtig!
Die orientierungslose Truppe trottet gemächlich aus der Kabine.
1. Blinder
Dann noch einen schönen Abend!
zonebattler
Ihr mich auch! Danke, dito!
Rechtsseitig unter dem Gewicht des Kaffee-Automaten wankend und linksseitig das dreckige Dutzend notdürftig eingesackter Weingläser balancierend, schlittert der zonebattler über die Straße und hinein in den Hauptbahnhof. Mit knapper Not erreicht er noch seinen Regionalexpress hinten am Gleis 13. Das Schlimmste ist jetzt überstanden, der bevorstehende Marsch bis zu seiner homezone wird nurmehr zur körperlichen Pein werden und bis zum Rücktransport am Montag ist es noch eine halbe Ewigkeit hin. Er schließt erleichtert die Augen. Wie schön ist es mitunter, wenn man nichts mehr sehen muß...
Vorhang zu, der Protagonist sinniert über seine Epiphanie nach, das Publikum hat an der bitteren Katharsis zu knabbern und das Gurren einer Taube aus dem Off gebietet dem Vorgang, zu fallen.
Teenis von heute würden sagen: Drama baby, drama.
#1
Äh ... hä?
#2
Steht denn die Auffahrt unseres Protagonisten in das vierte Obergeschoss nicht sinnbildlich für die Apotheose eines Menschen in der Zeit des technischen Fortschritts und des Web 2.0?
Nein ..?!
Na gut, dann halt für was anderes ...
#3
Ah ... ha!
#4
Na zum Glück war es kein Hochhaus oder gar weitere Fahrstuhlbenutzer mit unterschiedlichen Ausstiegspreferenzen. So ist es sich mit der Höflichkeit grad noch ausgegangen ;-)
#5
Freilich, bei buntem Etagen-Besatz und einer senkrechten Streckenspanne von U‑A-E‑1–2‑3–4‑5 kommt es tagsüber natürlich schon zu mancher Interessens-Kollision. Aber an einem Freitag-Abend um 18:30 Uhr ist normalerweise bei uns längst Schicht im (Aufzugs-)Schacht!
#6
Klingt das nur für meine Wenigkeit wie das Script zu einem Loriot-Sketch??? ;o)
Grüße aus der Altstadt!
#7
Ach was?!
Ich kann Dir freilich versichern, daß das Genießen eines Loriot-Sketches vom Sofa aus was anderes ist, als unfreiwillig und unverhofft zu einem Hauptdarsteller in einem solchen befördert zu werden...
Winke winke aus der Südstadt!
#8
Dazu fällt mir nur ein:
»Ein Klavier, ein Klavier! – Mutter, wir danken Dir!« :o)
Sei doch einfach froh, dass es nur die Kaffeemaschine und die Gläser waren und kein Klimperkasten auf dem Rücken! ;o)
#9
So gesehen hast Du natürlich recht! Überdies war die Feier ein großer Erfolg, und die vollautomatische Koffein-Zapfstelle hat das ihre dazu beigetragen: Kistenweise werde ich nämlich dieser Tage ungeöffnete Bier- und Weinflaschen zum Getränkemarkt zurückschleppen müssen, weil alle Welt überwiegend Kaffee trank!
#10
Eine zutiefst anmutende und nette Begegnung im Aufzug, einen Ort, indem die meisten mit allen serienmäßigen Sinnen ausgestatteten Mitmenschen nicht mal ihren Mund aufbekommen. Geschweige davon eine nette Geste abzulassen.
#11
In der Tat. Mit den Schilderungen meiner werktäglichen Begegnungen im Lift könnte ich wohl ein eigenes Blog füllen...
#12
Meinen letzten Kommentar hierzu muß ich mittlerweile relativieren, denn seit zweieinhalb Jahren habe ich nichts mehr im Aufzug erlebt. Dies aber keineswegs deshalb, weil dort drinnen nichts Schräges mehr passierte, sondern schlicht deswegen, weil ich den Fahrstuhl nicht mehr benutze: Nach meiner Rückkehr von der Schatzinsel war ich in den Beinen dermaßen gut durchtrainiert, daß ich (zumindest dort) kein Fett mehr ansetzen wollte. Also wird nicht nur daheim, sondern auch am Arbeitsplatz der dritte Stock konsequent zu Fuß erklommen. Das durchzuhalten ist mir längst zu einer Frage der persönlichen Ehre geworden...
#13