Ich hatte ja schon unlängst unter dem reißerischen Titel »Schaurige Schönheiten« ein paar schwarzgeweißte Fotos aus dem heurigen Urlaub als Appetitanreger gezeigt. Heute nun soll endlich etwas Farbe in die Erinnerungen an eine wunderbare Reise gebracht werden. Gleich vorneweg: Auch wenn in Transsilvanien alias Siebenbürgen mancherorts mit abstrusen Dracula-Legenden versucht wird, den Tourismus zu befeuern [1], die Realität ist eher bunt als düster und Blutsauger gibt’s dort wie hier wohl primär im Finanzgewerbe. Dennoch muß erneut zugegeben werden, daß wir Rumänien ohne die Anregung durch unsere befreundete und bilinguale Nachbarin Almut S. wohl niemals ernsthaft als Reiseziel erwogen hätten: Ein paar unverifizierte Vorurteile hat man halt doch irgendwie im Hinterkopf gehabt...
Besagte Nachbarin war nun schon eine gute Woche vor uns im Auto mit Mann, zwei Töchtern, einem Hund und allerlei Hausrat losgefahren, der zonebattler und seine bessere Hälfte flogen später mit nur einem einzigen Koffer beladen hinterher. [2] Am Flughafen von Sibiu (Hermannstadt) [3] vereinigte sich die Fürther Nachbarschaft und steuerte das etwa 80 km entfernte Richiș (Reichesdorf) an:
Unsere Nachbarn waren dort nicht zum ersten Mal (wir jetzt vermutlich auch nicht letztmals) und führten uns in die örtlichen Gegebenheiten ein. Wobei sich das Dorfleben sehr übersichtlich darstellte und der Aufenthalt dort entsprechend entspannend und entschleunigend. Zur Geschichte Siebenbürgens ist zusammenfassend zu sagen, daß dort mehr als 850 Jahre lang Rumänen, Ungarn, Zigeuner, Juden und deutsche Einwanderer friedlich nebeneinander her lebten – zwar in weitgehend geschlossenen Parallelgesellschaften, aber eben mit Respekt vor den jeweils anderen und sich nicht gegenseitig an die Gurgel gehend. Insofern kann die Gegend als leuchtendes Beispiel für die prinzipielle Möglichkeit einer weitgehend friedlichen Koexistenz verschiedener Volksgruppen, Ethnien und Religionen dienen. [4]
Heute sind die Spuren der deutschen Besiedlung der Gegend noch unübersehbar, die Siebenbürger Sachsen selbst allerdings nur noch in homöopathischer Dosierung ansässig: In zwei großen Auswanderungswellen in den 1970ern und nach 1990 sind die von großem Zusammengehörigkeitsgefühl geprägten Rumäniendeutschen aus Siebenbürgen nach Deutschland geschwappt und kommen heute überwiegend nur als »Sommersachsen« im Urlaub wieder für ein paar Wochen zurück ins Land ihrer Väter und der eigenen Vergangenheit. Natürlich auch nach Richiș, wo wir erstaunlich viele Autos mit deutschen Kennzeichen aus unserer Region sahen (FÜ, N, ER, SC, AN, ...). So sieht es in diesem typischen Straßendorf aus:
An der wechselnden Fassadenfarbe erkennt man sofort den immer wiederkehrenden Rhythmus aus Hofeinfahrt und Wohnhaus, der das straßenseitige Erscheinungsbild der Siebenbürgisch-Sächsischen Anwesen bestimmt. [5] Nach hinten gehen die Grundstücke sehr in die Tiefe und oft noch den Hang hinauf, so daß bei relativ schmaler Straßenfront viel Platz für Scheunen, Wirtschaftsgebäude, Ställe und Nutzgärten war. Interessierte LeserInnen mögen sich das mal vermittels Google Earth aus der Luft anschauen, die handtuchschmal erscheinenden Grundstücke fallen auf den ersten Blick ins Auge.
Was man leider auch sehr schnell registriert, sind die Spuren der Vernachlässigung, ja auch des Verfalls, dem die alten Häuser und Einrichtungen seit dem Auszug ihrer letzten deutschstämmigen Besitzer ausgesetzt sind: Auch wenn sich zwischendrin einige schöne Beispiele von behutsamer Instandsetzung und Renovierung finden (namentlich in Richiș haben sich großstadtmüde Menschen aus den Niederlanden, Belgien, Frankreich, England, Deutschland und sonstwoher recht preiswert eingekauft), so sind doch leider vielerorts etliche Anwesen leerstehend und in beklagenswertem Zustand. [6] Immerhin, in Richiș sieht es auf der Hauptstraße auch in der anderen Richtung noch (oder wieder) ganz gediegen aus:
Daß auf den beiden vorangegangenen Fotos nur ein Auto und ein Motorroller zu sehen sind, hat nichts mit beschaulichem Wochenende oder verkehrsarmen Tagesrandzeiten zu tun: Der motorisierte Individualverkehr ist auf dem Lande noch sehr überschaubar, hölzerne Fuhrwerke mit einer einzigen Pferdestärke vorne dran sieht man dort öfter als bereifte Bürgerkäfige aus Blech. Auch das ein Grund, warum uns die Sommerfrische in Siebenbürgen sehr gefallen hat.
Ein weiterer Grund waren die Begegnungen mit entspannten Menschen, seien es alte Sachsen, seien es junge Rumänen. Während wir mit den erstgenannten gut auf Deutsch über die früheren Zeiten plaudern konnten, konnten wir uns bei den zweitgenannten mit Englisch behelfen. Allerdings kann die völkerverständigende Eisbrecher-Rolle unserer »Dolmetscherin« Almut nicht stark genug betont werden, ohne deren Sprachkenntnisse uns manche Tür verschlossen und manches Erlebnis verwehrt geblieben wäre. Weitgehend wortloses Einvernehmen zum beiderseitigen Plaisir bestand (wie allerorts) zwischen dem zonebattler und seinen vierbeinigen Freunden. Hier sehen wir Entspannungsübungen von Herrn Paulchen, der uns während unseres Aufenthaltes ans Herz gewachsen ist und den wir nur unter Seufzen zurückgelassen (und einer ungewissen Zukunft überantwortet) haben:
Das kleine Paulchen wußte sich sehr anständig zu benehmen und sich damit den temporären Gästen im Ort nachdrücklich zu empfehlen. Sein charmantes Wesen brachte ihm viele Sympathien und sicherlich auch den einen oder anderen Leckerbissen ein. Anderen Hunden im Ort ging es weniger gut, denn man muß leider konstatieren, daß die Behandlung und Verwendung von Haus- und Nutztieren in Rumänien (wie fraglos auch in vielen anderen Ländern an Europas Peripherie) eher nicht den uns vertrauten Gepflogenheiten entspricht...
Hunde, Katzen, Hühner, Pferde, Kühe: In Siebenbürgens Dörfern läuft eine Menge Getier frei herum und weckte in unsereinem Erinnerungen an eine ferne Kindheit, als solche – aus Kindersicht paradiesischen – Verhältnisse auch in deutschen Landen Alltag waren. Überhaupt wurden in des Berichterstatters Gedächtnis allerlei verschüttete Erinnerungen aufgequirlt, als ihm typische Gerüche aus unbeschwerten Jugendtagen in die Nase stiegen, sei es das süßliche Aroma vergorener Trauben in einem behelfsmäßigen Weinkeller, sei es der üppige Geruchscocktail einer frisch gemähten Wiese mit großem Artenreichtum an Pflanzen. Unvermutete Flashbacks wie diese rührten den ollen zonebattler tatsächlich zu Tränen: Erstaunlich, was so alles irgendwo im Hinterkopf schlummern und nach einem halben Jahrhundert durch ein paar olfaktorische Schlüsselreize wieder aktiviert werden kann!
Richiș alias Reichesdorf war also unser zeitweiliges Zuhause, von dort aus unternahmen wir Wanderungen und kleine Expeditionen, per pedes, per Rad, per Pferdefuhrwerk oder per PKW. [7] Wobei es schon im Ort selbst und in dessen unmittelbarer Nachbarschaft viel zu entdecken gab für jemanden, der naturnahen Urlaub liebt und dem Trubel des städtischen Lebens zeitweise gerne entflieht.
Was einem sogleich auffällt außer dem typischen Erscheinungsbild der Häuser ist die Liebe der Rumänen (und wohl auch der im Lande verbliebenen Deutschen) zu Blumen. Allerorten leuchten bunte Blüten, nicht nur draußen am Wegesrand und in den Wiesen, auch innerorts an den Straßen, in den Höfen, vor den Häusern und nicht zuletzt auch an deren Fenstern:
Auch damit hatten wir nicht gerechnet: Unsere Reisen in südlichere Gefilde hatten wir immer im Frühling unternommen, um auf La Palma, Malta, Mallorca oder Teneriffa in den Genuß bunter Blütenpracht zu kommen. Im Spätsommer noch irgendwo üppiges Grün und farbenfrohe Blumen flächendeckend vorzufinden hätten wir nicht zu hoffen gewagt, zumal nicht nach diesem Dürre-Sommer in Deutschland. Ein weiterer Pluspunkt für unser neu entdecktes Reiseland Rumänien!
Nicht weniger üppig, wenn auch deutlich weniger schön wuchern überall die vom Menschen gelegten Adern des technischen Fortschritts: Strom‑, Telefon- und Internet-Kabel liegen nicht im Boden, sondern hängen in der Luft zwischen groben Betonmasten im weiland kommunistischen Brutalo-Design. Auch im Detail herrscht offenbar die Maxime »function first«, weshalb die Verstrickungen der Verstrippungen so aussehen, wie sie halt nun mal ausschauen:
Schön ist natürlich was anderes, aber ein gewisser Pragmatismus ist dem Landvolk ja überall auf der Welt zu eigen, ebenso wie eine souveräne Laxheit in ästhetischen Fragen. Nicht einmal der postmoderne Franke könnte sich hier guten Gewissens überlegen fühlen, kommt ihm doch allzuoft selbst ein schnodderiges »des dudd’s« über die Lippen...
Mit so einer Haltung kann man nicht nur ertragen, was feinsinnigen Geistern und kontrollbedürftigen Charakteren ein Greuel ist, nein, man kann sogar mit dem ungeplanten Werden und Vergehen um einen herum seinen Frieden machen. Und vielleicht sogar zu der Erkenntnis gelangen, daß die Natur nicht des Menschen Werk in zerstörerischer Absicht zu überwuchern angetreten ist, sondern ihm vielmehr ein Stück Schönheit zurückbringt in seine von ihm selbst ent-schönte kleine Welt:
Der westliche Wahn des Ausrottens allen Wildwuchses hat auf den (mäßig) wilden Osten glücklicherweise noch nicht übergegriffen, und unter anderem das macht den Charme Siebenbürgens aus. Der Exodus der Siebenbürger Sachsen (korrekterweise müßte man sie als rumänische Staatsbürger deutscher Nationalität titulieren) hat zwar vieles dem Niedergang überantwortet (von den Häusern über die berühmten Kirchenburgen bis hin zu den Weinbergen), indes wirkt der schleichende Fall auf den Besucher eher pittoresk und charmant sowie in der Regel nicht deprimierend. Wer Venedig kennt und dessen morbide Aura liebt, mag das nachvollziehen können. Übrigens sieht man von der real existierenden Armut in Rumänien selbst in den Städten deutlich weniger als in den urbanen Zentren im »reichen« Westen...
Als wahrlich reich anzusehen sind indes die Menschen, die zwar in bescheidenen, aber doch würdigen Verhältnissen zufrieden leben. Wie zum Beispiel jene Siebenbürger Sachsen, die weiland dem Herdentrieb widerstanden haben und in der angestammten Heimat zurückgeblieben sind. Wir durften solche kennenlernen. Aus Gründen der Diskretion zeige ich zur Illustration nur einen äußerlich Eindruck vom kleinen Paradies der bodenständigen Leute:
So, das war es dann für heute. Seitenlang über Siebenbürgen geplappert und nicht eine einzige Kirchenburg gezeigt! Macht aber nix, denn erstens bin ich ja schon in Vorleistung gegangen und zweitens macht(e) der Robert von nebenan ohnehin die besseren Bilder. Dafür ist der zonebattler zweifelsfrei die größere Plappertasche, so ergänzen wir beide uns prächtig. Im zweiten Teil geht es hier demnächst weiter mit bunten Ansichten und weiteren Schachtelsätzen aus dem Zentrum Rumäniens!
[1] Eine Strategie, die offenbar einigen Erfolg zeitigt. Immerhin hat das Anlocken unbedarfter Pauschal-Touristen mit depperten Draculantien den Vorteil, daß diese dann zumeist in den ohnehin überlaufenen und touristifizierten Städten verbleiben und sich eher selten ins noch weitgehend ursprüngliche Umland verirren...
[2] Von Nürnberg nach Sibiu (Hermannstadt) braucht ein Airbus der ungarischen Wizz Air noch nicht einmal zwei Stunden.
[3] In dieser Reiseberichterstattung werden Ortsnamen in offizieller rumänischer Schreibweise notiert, bei erstmaliger Nennung gefolgt vom deutschen Namen in Klammern.
[4] Diese vereinfachende Darstellung ist natürlich im Detail durchaus kritisch zu sehen. Beispielsweise hat sich in Deutschlands tausendjährigem Jahrzwölft der kollektive Rassenwahn auch unter den fernab des braunen Reiches lebenden Siebenbürger Sachsen breitgemacht. Dies näher auszuführen ist aber nicht das Thema dieser Urlaubs-Reprise.
[5] Was uns übrigens vor dem Urlaub nicht bekannt war: Die ursprünglichen »Siebenbürger Sachsen« kamen als willkommene Siedler aus dem Luxemburgischen, dem Rheinland und von der Mosel. Zu »Sachsen« machte sie der Weg über Mitteldeutschland, mit den »richtigen« Sachsen hatten und haben sie nichts zu tun. Ähnlich verhält es sich übrigens mit den »Banater Schwaben«, denen dieses mißweisende Etikett aufgeklebt wurde, weil die Auswanderer ihre Schiffsreise auf der Donau weiland in Ulm begannen...
[6] Landflucht ist natürlich auch in Rumänien ein Thema: Junge Leute zieht es in die Städte, wo es mehr Abwechslung und auch attraktivere Arbeit gibt (sprich besser bezahlte, zeitlich weniger ausufernde und nicht so körperlich anstrengende wie in der Landwirtschaft draußen)...
[7] Unsere Nachbarsfamilie aus Fürth hatte ja alles dabei (bis auf das Pferdefuhrwerk).
Schönes Reichesdorf – bin schon gespannt, was es als nächstes gibt...
#1
Ich auch! Suche ja immer zunächst nach rein ästhetischen Kriterien die Bildauswahl zusammen und versuche die dann im zweiten Schritte durch eine Geschichte zu verbinden. Die 27 jetzt verbleibenden Fotos sind noch entsprechend zu gruppieren, was glücklicherweise von Folge zu Folge leichter geht, die Auswahl wird ja immer geringer. Hat was von Memory-Spielen! ;-)
#2
Schaut aus, wie mein Dorf in den 50ern.
#3