Den heutigen Sonntag konnte ich in vollen Zügen genießen, und das im durchaus wörtlichen Sinne: In Erbringung eines vor Wochen spontan angebotenen Freundschaftsdienstes habe ich zu morgendlicher Stunde am Nürnberger Hauptbahnhof zwei wunderbare Gemälde eines Bamberger Künstlers gut verpackt aus der Obhut seiner Nürnberger Galeristen übernommen und zur Mittagszeit in Bielefeld [1] dem glücklichen Käufer übergeben. Ausgerüstet war ich mit einem üppigen Lunchpaket aus den Händen der fürsorglichen Absender [2], einem 1328-seitigen Roman sowie meinem Taschenspieler mitsamt einer älteren Gesamtausgabe der Bruckner-Symphonien.
Auf der Hinfahrt ergab sich wider Erwarten wenig Gelegenheit zum unbeschwerten Genuß von Literatur oder Musik, denn der ICE 886 quoll zwischen Nürnberg und Hannover schier über vor Passagieren und deren ausladenden Gepäckstücken [3]. Um einerseits dem verinnerlichten Servicegedanken Rechnung zu tragen [4] und andererseits das mannshoch-sperrige Packstück mit der wertvollen Fracht sozialverträglich und sicherheitskonform verstauen zu können, mußte ich mich letztlich im Türraum des vorderen Wagens gleich hinter dem führenden Triebkopf des ICE 1 auf dem Fußboden niederlassen, die Beine in die Treppenmulde der Außentür geklemmt. Klingt unbequemer als es ist, ich bin ja zudem auch daheim ein praktizierender Bodenhocker! Außerdem bekam ich so Gelegenheit, längere Zeit über Gott und die Welt (und mich zwischendrin) nachzudenken...
Rückwärts standen mir dann von 13:17 bis 17:46 Uhr diverse kommode (ICE) bis leidlich bequeme (IC/RE) Sitzplätze zur Verfügung, und überdies war ich nun der schwerwiegenden Verantwortung für zwei meisterlich bemalte Leinwände ledig. Beste Voraussetzungen also zur überfälligen Aufnahme geistiger Nahrung! Leider erwies sich die geschunken gekrochene Familiensaga als einigermaßen unverdaulich, und auch beim spätromantischem Getöse meines Lieblingskomponisten kam keine rechte Freude auf [5]. Geholfen haben dann ein beim Umsteigen im Hauptbahnhof Hannover ordnungsgemäß erworbenes Exemplar der aktuellen Psychologie Heute sowie im ICE 589 en passant erfischte Wochenendausgaben der F.A.Z. und der WELT.
Man möge es mir glauben oder auch nicht, aber die elf sehr angenehm klimatisierten Stunden im Zug erschienen mir als kein bißchen lang‑, sondern eher sogar als ziemlich kurzweilig. Außerdem weiß ich jetzt, daß sie in Bielefeld [1] eine im Krieg zerbombte und lieblos wiederaufgebaute Innenstadt, eine verfehlte Verkehrspolitik unter dem Primat des Individualverkehrs, ansonsten die gleichen Probleme wie hier, aber immerhin vorzügliches Spaghetti-Eis »Carbonara« (mit Eierliqueur und Nüssen) haben!
[1] Das Problem der strittigen (und auch von mir nicht zweifelsfrei zu belegenden) Existenz jener Stadt ist mir selbstredend bewußt. Da dies aber für das Thema meines Rapports von geringer Relevanz ist, wollen wir das Vorhandensein Bielefelds for the sake of argument und für die Dauer der Diskussion über meine Ausführungen bitte als gegeben an- und hinnehmen.
[2] welches mich noch die ganze kommende Woche hindurch nähren und am Leben erhalten wird...
[3] Es erschiene dem Chronisten eine wissenschaftliche Untersuchung wert, inwieweit die Erfindung von rollfähigen und mit geringem Kraftaufwand translozierbaren Gepäckstücken die Reisenden heutzutage ermuntert, den größeren Teil ihres Hausrates ständig mit sich herum- bzw. hinter sich herzuziehen.
[4] Da die regulär reisenden Fahrgäste durch den Kauf ihrer Fahrscheine letztendlich des zonebattler’s Dienstbezüge finanzieren, ist es für ihn nichts weniger als selbstverständlich, bei Vollbelegung der blechernen Weißwurst zahlenden Passagieren umstandslos und unaufgefordert seinen Sitzplatz zu überlassen.
[5] eher aus aufnahmetechnischen denn aus interpretatorischen Gründen.
Danke für diesen lebendigen Bericht Deines Botendienstes! – Eine Untersuchung der Auswirkung großvolumiger Transportbehälter auf das Bedürfnis der Reisenden, sich großzügig oder gar übermäßig zu bepacken, wäre in der Tat interessant.
#1
Bielefeld – ob echt, ob Illusion sei einmal mehr dahingestellt – scheint für Geschichten rund um das Reisen mit der Bahn prädestiniert zu sein, wie die Fürther Nachrichten heute in ihrem Artikel »Zug nach nirgendwo« insinuieren. Der zonebattler ist weit davon enfernt, ein Schriftsteller zu sein. Dafür denkt er sich seine Geschichten nicht aus, sondern erlebt sie wahrhaftig!
#2
Nicht derselbe Zug – leider. Es gibt doch so Websites, wo man Reisepartner im Flugzueg finden kann, vielleicht sollte das jemand mal für reisende Blogger aufmachen.
Ich finde Zugfahren auch meist nicht schlimm, vor allem wenn man am Ende ein paar erzählenswerte Geschichten reicher ist – was Sie zweifelsfrei waren! Danke!
#3
Den anderen LeserInnnen sei verraten, daß Frau damenwahl auf einen Kommentar von mir zu ihrer eigenen Bahnreise-Berichterstattung Bezug nimmt...
#4
Der oben erwähnte Artikel »Zug nach nirgendwo« ist im Nirgendwo verschwunden.
Werden nicht alle Artikel gespeichert? Oder gab es einen anderen Grund, diesen vom Netz zu nehmen?
#5
Sehr eigenartig, in der Tat. Das habe ich auch noch nicht erlebt, daß sie einen Artikel komplett vom Netz nehmen. Hm. Da stecken SIE dahinter, dessen bin ich mir ganz sicher. Bielefeld, sage ich da nur...
#6
Bezüglich im gleichen Zug fahrende Leute finden, da gibt es einen Twitterdienst, den DBlocator. Man gibt da seinen Zug ein (ICE4711 oder so), und wenn dies mehrere tun, dann werden sie benachrichtigt, daß sie im selben Zug sitzen.
Solcherlei Botenfahrten führen meine Frau und ich auch ab und an durch, oder auch nur sowas Verrücktes wie einen Tagesausflug mit dem ICE nach Hamburg oder Düsseldorf oder so. Man kann eigentlich durchaus entspannt etliche Stunden im Zug sitzen und dennoch Spaß an so einem Ausflug haben...
#7