Heute, 7:10 Uhr
Der zonebattler springt aus der Dusche erst in die Klamotten und dann in die Küche, um in Windeseile flugs das Frühstück vorzubereiten und im Anschluß daran halbwegs sittsam zu vertilgen, dabei immer die Uhr im Blick behaltend, will er doch zuverlässig um 7:42 Uhr seinen Regionalexpress in Richtung Nürnberg erhaschen.
7:33 Uhr
Der Berichterstatter reißt die Haustür auf, läßt leicht erschrocken einer zeitgleich davor angekommenen Arzthelferin den Vortritt nach innen und schreitet dann ins Freie, hurtig der Karolinenstraße und sodann dem Bahnhof beherzt entgegen.
7:40 Uhr
In der Bahnhofsunterführung leuchtet dem zonebattler ein ebenso unübersehbarer wie aus Kundensicht letztlich unbefriedigender Hinweis ins Angesicht:
Glücklicherweise juckt ihn sowas nicht weiter, er muß als Profi-Pendler mit gut 30 Dienstjahren auf dem Buckel nichts beachten: er weiß seinen täglichen Arbeitnehmerzug vom Gleis 5 departierend.
7:40 Uhr
Der nagelneue Triebzug steht wie (fast) immer überpünktlich am Gleis 5 schon bereit, den einsteigenden Chronisten wundert zwar die geringe Fahrgastdichte, aber umso mehr kann er sich selbst ausbreiten. Die internen Leuchtanzeigen weisen darauf hin, daß sich in Fahrtrichtung links der Fürther Bahnsteig befindet. Schön.
7:41 Uhr
Linkerhand auf Gleis 4 fährt erstaunlicherweise ein weiterer Triebzug ein, vollbesetzt mit Passagieren und ausweislich seiner Leuchtmatrix-Anzeige gleichfalls gen Nürnberg strebend. Nanu, was ist denn das für einer?
7:42 Uhr
Das Rätsel löst sich auf unverhoffte Art und Weise: Der weitgehend menschenleere Zug auf Gleis 5 fährt ebenso sanft wie in die »falsche« Richtung los und beschleunigt zügig in Richtung Würzburg. Dem darin befindlichen zonebattler wird es trotz warmer Winterjacke kalt ums Herz. Am Gleis nebenan startet indessen der richtige Zug vom »falschen« Gleis nach Nürnberg.
7:51 Uhr
Wohlweislich auf das Aussteigen in der grauen Öde Fürth-Unterfürbergs und Fürth-Burgfarrnbachs verzichtend, fährt der Gefoppte bis Siegelsdorf durch, wo auch die schnellen RE-Züge zu halten pflegen. Er springt aus dem Zug auf den Bahnsteig 1 und spurtet zu seinem alten Stellwerk, um den dort angebrachten Aushangfahrplan zu studieren: Glück gehabt, es kommt gleich eine Regionalbahn aus Richtung Markt Erlbach dahergedieselt. Und da tutet sie auch schon! Also in die Unterführung gestürzt und am Gleis 4 wieder hochgehechelt...
7:59 Uhr
So eilbedürftig wäre es freilich nicht gewesen: Statt der gelesen geglaubten Abfahrt in Minute 51 geht es planmäßig nämlich doch erst in der Minute 59 weiter. Der gut besetzte Triebwagen blubbert gemütlich in Richtung Fürth, planmäßige Ankunftszeit dortselbst um 8:10 Uhr. Zeit genug, den Zauberkasten zu zücken und den darin abgespeicherten Fahrplan FÜ – N zu konsultieren. Zu dumm, ein Doppelstock-RE aus Richtung Erlangen geht schon um 8:08 Uhr und wird damit knapp verfehlt. Es wird dann wohl erst die S‑Bahn um 8:21 Uhr werden.
8:10 Uhr
Der Autor entspringt in Fürth dem haltenden Zug und wirft sofort einen Blick auf die Ausfahrsignale in östlicher Richtung: Eine S‑Bahn in Richtung Nürnberg hält soeben an, die ist keinesfalls mehr zu erwischen. Ansonsten Rotlicht, wohin das Auge blickt.
8:12 Uhr
Der zonebattler zückt die Kamera und versucht das oben gezeigte Bild mit der blauen Anzeigetafel stativlos und dennoch leidlich unverwackelt einzufangen. Der fällige Blog-Rapport muß ja angemessen illustriert werden. Irgendwo quietschen Bremsen vernehmlich.
8:13 Uhr
Dutzende von Fahrgästen quellen die Treppe zu den Gleisen 2 und 3 hinunter, wo kommen die denn her? Ein Blick hinauf schafft Klarheit: Die kommen aus Bamberg, Forchheim oder Erlangen und sind soeben aus dem verspäteten RE nach Nürnberg gestiegen, der um 8:08 Uhr hier hätte abfahren sollen. Kaum ist die Chance erkannt, ist sie auch schon wieder verloren: Der Zug gleitet los und wird Nürnberg ohne unsereinen erreichen. Gargl.
8:16 Uhr
In der betagten S‑Bahn ist es kalt und zugig, weil deren Türen weit offen stehen und erst kurz vor der Abfahrt schließen. Immerhin steht einmal mehr ein reichliches Platzangebot zur Verfügung.
8:21 Uhr
Knapp 40 Minuten nach dem ersten Versuch verläßt der zonebattler den Fürther Hauptbahnhof ein zweites Mal, diesmal zu seiner nicht geringen Erleichterung in richtiger Richtung. Alles andere hätte ihn angesichts des Prellbocks im Rücken auch einigermaßen gewundert.
8:29 Uhr
Pünktliche Ankunft in der weiland Freien und Reichsstadt Nürnberg.
8:33 Uhr
40 Minuten später als gedacht und angestrebt sprintet der zonebattler in sein Dienstgebäude und rennt die sechs Treppen in den dritten Stock hinauf. Keuchend erreicht er sein Büro. Die nächsten sieben Stunden werden zweifellos weniger abenteuerlich verlaufen...
Solche Gschichtla gefallen mir sehr gut, weil sie fast jeden schon passiert sind.
Weißt was mir mal passiert ist? ;-) Ich bin in die U11 am Plärrer gestiegen, am Eberhardshof endet die ja. Ich war so in die Zeitung vertieft das ich weiter gefahren bin —-> Auf das Abstellgleis! Den Hungertod vor Augen, rettete mich ein VAG Mensch mit einem Lachen....
#1
Schön zu hören, dass du schon deinen Weg machst.
#2
Gibt es eigentlich auch Amateur-Pendler ?
#3
Natürlich, nämlich jene, die 1x im Jahr das Auto wegen Glatteises stehen lassen und dann mosern, daß der Zug rappelvoll ist und fünf Minuten Verspätung hat...
#4
Meine Frau und ich sind in Nürnberg in den ICE gestiegen, um nach München zu fahren, gerade noch so erwischt – und dann fährt das Ding in die falsche Richtung los. WTF?!
Nach München fuhr er dennoch, aber über Augsburg, mit deutlich längerer Fahrzeit *gnarf* Der gewünschte Zug wäre an der anderen Bahnsteigkante abgefahren.
#5
Auch nicht schlecht! Aber München bleibt München, das immerhin ist doch beruhigend zu wissen...
#6
Eine der wichtigsten, wenn nicht gar die wichtigste Eigenschaft des Profi-Pendlers ist Langmut: Bis 5 Minuten Verspätung keinerlei Reaktion zeigen, bei der Ansage über 10 Minuten einmal die Nase kraus ziehen (wahlweise schulterzucken oder augenrollen), ab 20 Minuten in Blickkontakt mit anderen Reisenden treten und galgenhumorige Späße auf Kosten der Bahn machen, bei 30 Minuten dann mal einen(!) Ausdruck des Missfallens äußern, um kurz danach in die Bahn zu steigen und sich der kuscheligen Enge zu erfreuen.
Im Büro angekommen erfährt man dann von der autofahrenden Kollegenschar, dass diese doch wegen eines schleichenden LKWs, einer (prinzipiell vollkommen ungerechtfertigten) Verkehrskontrolle oder eines umgefallenen Sackes Reis glatt 45 Minuten länger gebraucht haben.
Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass die Ausbildung zum Profi-Pendler ca. 5–7 Monate dauert, aber danach schockt einen nichts mehr.
#7
Sehr gut subsummiert! Ich hatte mal ein nettes Doppel-Interview mit Harald Schmidt und einer Schauspielerin gelesen, in der sich ersterer als bekennender Bahn-Fahrer sehr trefffend zu Profi-Zugfahrern und Amateuer-Reisenden ausgelassen hat (letztere verlieren schon die Fassung bei der Ansage, daß ihr Zug heute in umgekehrter Wagenreihung verkehrt). Leider finde ich die Quelle nicht mehr und kann sie daher auch hier nicht verlinken...
#8
Ein weiters Schmankerl. Offenburg im Frühjahr.
Oma Tilli und Opa Knilli stehen am Bahnsteig 3 und warten auf den ICE nach Hamburg. Von ihren Kindern wissen sie dass der ICE liebevoll weisser Hai genannt wird. Pünktlich zur Abfahrtzeit rollt auf Gleis 4 (Bahnsteig 3) der weisse Triebwagen der OSB Richtung Bad Grießbach ein.
Da unser Zug ja weiss sein soll steigen Oma und Opa freudestrahlend in unsere
Ortenau S‑Bahn ein. Türen schließen und ab geht die Fahrt in´s Renchtal woher die beiden herkommen.
#9
Es gibt aber solche Amateur-Pendler wie meinen Mann, der diesen Winter immerhin 2x das Auto hat stehen lassen und sich dann gefreut hat, dass der Zug nur 5 Minuten Verspätung hatte und er sorglos in die Arbeit kam.
Ich bin heute übrigens auch mal wieder Zug gefahren und fand folgendes sehr witzig:
Als wir nach Neustadt einfuhren kam die Durchsage: »Neustadt – (jetzt wurde eine ganz kurze Pause gemacht und mein Hirn hatte Zeit, sich auf den Zusatz Aisch gefasst zu machen) – Bahnhof« .
Hä? Was denn sonst? :-))
#10
Die Aisch war wohl gerade a.D. (außer Dienst) ... bei Hochwasser kann es aber wohl eher auch einmal Neustadt i.d. Aisch sein ... ;-)
#11
@Manu: Wenn Du Dir mal das Streckenband anschaust, dann wirst Du feststellen, daß es außer Neustadt (Aisch) Bahnhof noch Neustadt (Aisch) Mitte gibt bzw. geben wird. Die Bezeichnung dient also der Herstellung von Eindeutigkeit (wie auch im Falle von Dettelbach Bahnhof / Dettelbach Stadt)...
#12
Ja, ja, das hatte ich in weiser Voraussicht schon getan, bevor ich »Seltenzugfahrer« es gewagt habe, auf dieser Spezialistenseite hier etwas zum Thema Bahn von mir zu geben.:-)
Dein Futur ist ganz richtig gewählt: »geben wird«. Der Zusatz dient also dazu, in der Gegenwart Verwirrnisse, die in der Zukunft auftreten könnten, zu vermeiden...
#13
Na, da sage noch eine(r), die Bahn wäre nicht zukunftsorientiert!
#14
Ach ja... irgendwie kann man gar nicht so richtig mitreden, wenn man (fast) nie mit der Eisenbahn fährt. Dabei kann man dort so tolle Sachen erleben
:-/
#15
Dergleichen ist mir in gut drei Jahrzehnten Eisenbahndienstzeit noch nicht untergekommen! Aber vielleicht kann unser Vielfahrer hierzu Passendes beisteuern?
#16
Ich hätte auch noch eine Geschichte anzubieten. Zartbesaitete bitte nicht weiter lesen, es etwas ist grenzwertig. Aber nachdem die Story mit dem Luststab geschrieben wurde kann ich die Geschichte wohl erzählen.
Wir fuhren mit dem Regionalexpress nach Neustadt an der Aisch. Ich hatte einen Platz, von wo man direkt auf die Toilette sehen konnte. Da der Abort augenscheinlich unter Verstopfung litt, stand die Brühe bis zum Schüsselrand. Plötzlich kam ein kleiner Junge um sein Geschäft zu machen und wie Kinder nunmal so sind lies er die Tür offen. Der arme Kerl zog sich die Hose bis zu den Knöcheln herunter und machte stehend seinen Pipi. Der Zug fuhr gerade in Puschendorf ein und bremste etwas stärker. Die Brühe in der Koschüssel kam durch die Bremsung hoch und schwappte den armen Tropf genau in die Unterhose die zwischen den Beinen hing. Ich konnte nicht anders und mußte so lachen, das die inzwischen herbeigeeilte Mutter mir einen ganz bösen Blick zuwarf.....
#17
Pressespiegel: »‘Zu doof zum Bahnfahren’« (Süddeutsche.de)
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