
Tausendfüßler aus Gießkannen von Frank Dimitri Etienne, gesehen in der aktuellen Ausstellung »urban mining« des BBK Nürnberg. Hingehen, anschauen, staunen!
Tausendfüßler aus Gießkannen von Frank Dimitri Etienne, gesehen in der aktuellen Ausstellung »urban mining« des BBK Nürnberg. Hingehen, anschauen, staunen!
Abgelegt in: Kulturelles • 12. Okt.. 2014, 23:35 Uhr • 9 Kommentare lesen
Die letzte Folge mit einem spannungssteigernden Ausblick auf ein scheinbar schönes Schiff beendet habend, wenden wir uns heute zum Einstieg eben jenem »Segler« näher zu und betrachten ihn von einer näher gelegenen Klippe am nordwestlichen Zipfel von Port de Sóller aus. Und was sehen wir da Merkwürdiges? Genau, am Heck einen dicken, mutmaßlich Antennen beherbergenden Riesen-Bovisten und am zweiten Mast von vorn einen senkrechten Stahl-Stummel mit riesigen Auspuffrohren dran, der den Windjammer letztlich als schnödes, wenngleich natürlich hypermodernes Motorfahrzeug entlarvt:
Abends konnte ich herausgoogeln, daß es sich bei diesem offenkundigen Luxus-Vehikel entweder um die »Wind Spirit« oder um deren Schwesterschiff »Wind Star« handeln mußte. Die Reederei Windstar Cruises kann ihre beiden Retro-Pötte offenbar selbst nicht wirklich unterscheiden, die beiden verlinkten Schiffs-Seiten und die dort gezeigten Fotos sind jedenfalls bis auf den jeweiligen Namen identisch!
Klar ist, daß derlei Nobel-Gefährte einsatzmäßig rund ums Jahr verplant sein müssen, um ihre exorbitanten Kosten wieder einzuspielen. Da kann man sich nicht auf die Zufälligkeiten des Wetters und der Winde verlassen, im Zweifels- bzw. Flautenfall muß eine starke Motoranlage dafür sorgen, daß der Kahn pünktlich an der nächsten fahrplanmäßig vorgesehenen Mole zu liegen kommt.
Na ja, wer’s mag. Meiner einer würde keinen um Zehnerpotenzen kostspieligeren Urlaub antreten, auf dem es mehr Meer als Land zu sehen gibt und in dessen Verlauf die von den Wellen geschwenkten und geschüttelten Innereien womöglich zu rebellieren beginnen. Und so machen wir uns daher mit dem (zugegeben streckenweise auch recht schaukelnden) Omnibus auf in die gar nicht so ferne Hauptstadt Palma de Mallorca, um uns für die letzte Urlaubswoche mit einem Mietwagen zu versorgen und zu mobilisieren. Den frisch übernommenen Flitzer lassen wir aber erstmal vor dem Europcar-Büro stehen und begeben uns zu Fuß auf eine kleine Stadtbesichtigung...
Den innerstädtischen Rummel mit Touristenströmen, Gauklern und Taschenspielern, Boutiquen und Nippesläden spare ich hier bewußt aus, und auch das in einer teuren Pseudokunst-Galerie live miterlebte Verkaufsgespräch, in dem eine aufgebrezelte Blubberphrasendrescherin ohne jede Sachkunde einem nicht minder ahnungslosen (aber immerhin wohlhabenden) Kundenpaar teuren Edelkitsch aufzuschwatzen trachtete, ist glücklicherweise schon so tief im Sumpf des zonebattler’schen Synapsenrauschens versunken, daß er die Details gar nimmer herausziehen kann und mag. Viel lieber lenkt er den Blick und die Aufmerksamkeit seines verehrten Publikums auf würdevolle alte Architektur-Details, wie beispielsweise die über diesem Absatz abgebildeten Zinnen des alten Königspalastes »Palacio Real de La Almudaina«.
Gemeinhin ist ja die Mittagszeit nicht eben ideal zum Knipsen, da grell die Details überstrahlend und ungünstige Schattenwürfe bedingend. Den wuchtigen Palastmauern gereichte der Höchststand des beleuchtenden Gestirns indes eher zum Vorteil. Nicht ganz so kontrastreich geriet mir die Aufnahme einer alten Windmühle in Hafennähe, die – im Gegensatz zu vielen anderen gesehen Exemplaren – nicht weitgehend verfallen, sondern recht ansehnlich restauriert worden war:
Heutzutage wird natürlich allenthalben mit Strom gemahlen statt mit unzuverlässiger Windenergie, aber wer weiß, vielleicht erlebt die Windkraftnutzung auch auf den Balearen eine Renaissance. Die Sonne scheint auch häufiger als bei uns daheim im Norden, da könnten die Inseln doch glatt auch in Sachen Solarenergienutzung eine Vorreiterrolle spielen...
Doch zurück zu bodenständigen Betrachtungen. Palmen gibt es ja reichlich in und um Palma, nomen es omen. Aber welche Bäume wachsen in Ufernähe in dichten Wäldern und haben einen weißen Stamm? Nein, keine Birken. Es sind vielmehr die Masten der Segelboote, die dort sonder Zahl vor sich hindümpeln und überwiegend der Wiederkehr ihrer absenten Herrschaft harren:
Wir guckten uns die angeketteten Nußschalen und auch die größeren Boote gerne an, sowas sieht man im heimischen Binnenland ja nicht alle Tage. Immer wieder erstaunlich, was Leute in ein schnittiges Schiffchen zu investieren bereit sind, dessen Alltagsnutzen vermutlich deutlich unter dem repräsentativen Nutzen rangiert. Aber das gilt ja für monströs aufgeladene Autos an Land genauso. Wir wenden uns jetzt vom Repräsentationsbedürfnis des Geldadels ab und dem früherer Kirchenfürsten zu, deren Drang zu Höherem, Größeren, Weiteren zumindest vorgeblich der Ehre Gottes diente. Hier sehen wir die gothische Kathedrale der Heiligen Maria (»La Seu«) aus ungewohnter Perspektive:
Das Foto schoß ich tatsächlich aus einigen hundert Metern Entfernung vom Dach des »Es Baluard« aus, einem wunderbaren Museum für moderne und zeitgenössische Kunst, dessen gelungene Architektur sich hervorragend in eine Eckbastion der alten Renaissance-Stadtmauer einfügt. Einen Besuch in diesem Musentempel kann man kulturell interessierten Palma-Besuchern nur wärmstens ans Herz legen, Bau und Inhalt haben internationales Format! Wir haben mehrere Stunden staunend drinnen verbracht, hernach auf dem Vorplatz erneut unverhofft den MietMichel getroffen (wir erinnern uns an die Folge 3) und uns dann einen Besuch in der Kirche geschenkt, da uns der als in jeder Hinsicht zu kostspielig erschien (vom Eintrittsgeld her betrachtet ebenso wie betreffs der an- bzw. abzustehenden Wartezeit).
Aber man muß ja auch nicht alles und jedes sehen, zumal die unbekannteren Ecken oft mehr Überraschungen bereithalten als die offiziellen »Sehenswürdigkeiten«. Hier hält sich zum Exempel eine pittoreske Touristengruppe direkt unterhalb der Kathedrale einander fest die Treue (und sich gegenseitig beim Wickel resp. am Kittel):
Ob die mir unbekannten Herr- und Damenschaften nun haltsuchend von der Pracht der Kathedrale über ihnen überwältigt oder nach kollektivem Genuß von alkoholischer Eimerware ins Wanken gekommen waren oder schlicht versuchten, zwecks Erstellung eines gemeinsamen Selfies kompakt zusammenzurücken – wer weiß? In jedem Fall gaben sie ein schönes Motiv für den Berichterstatter ab, der sich einmal mehr darüber freute, aufgrund der späteren Unindentifizierbarkeit der Gezeigten niemanden um Publikationsgenehmigung fragend angehen zu müssen...
Nur wenige Meter weiter ergab sich die nächste Gelegenheit zur lichtbildnerischen Betätigung. Im Schatten des großen Gotteshauses – vielleicht schon zum Parc de La Mar gehörig – gibt es eine Art Freilicht-Theater, welches mit einem Dach aus rautenförmigen Elementen überspannt ist. Die Schattenspiele dieses ein bißchen an das Bayerische Staatswappen erinnernden Waffelmusters sind wahrlich spektakulär anzuschauen:
Es gibt also auch abseits des quirligen Lebens im Stadtzentrum einiges zu sehen in Palma de Mallorca, und wer Ruhe sucht, der findet sie auch. Klar, ein Gang durch die Ladenstraßen gehört ebenso dazu wie die Einkehr in einem der zahllosen kleinen Lokale, aber der zonebattler und seine bessere Hälfte finden Steinmassen gemeinhin attraktiver (und weniger schwatzhaft) als Menschenmassen...
So, zum Abschluß gehen wir ein paar hundert Meter weiter nordöstlich vor dem Heiligen Franziskus auf die Knie, um die hinter ihm im Abendlicht gülden strahlende Basilica de San Francesco noch angemessen einzufangen:
Es ist Abend geworden, schnell kriechen die Schatten höher an des Heiligen Kutte und darüber hinaus. Wir machen uns daher auf und schlängeln uns zielstrebig wieder südwestwärts durch das Labyrint der Altstadt, um an der Uferpromenade zurück zum Stellplatz unseres bis dahin noch keinen Meter bewegten Wagens zu gelangen.
Diesen in Betrieb zu nehmen war gar nicht so einfach: Statt des gebuchten und erbetenen Kleinwagens waren wir mangels Verfügbarkeit eines solchen zur nächsthöheren Klasse upgegradet worden, und der zonebattler mußte zunächst einmal konstatieren, daß so ein moderner Mittelklassewagen mehr Hebel, Knöpfe und Lämpchen hat als seine spartanische Renngurke Moleküle. Schließlich gelang es ihm aber doch, den Wagen zu starten, den rechten Gang zu finden und den Flitzer unfallfrei durch die Stadt zu manövrieren sowie nach Port de Sóller zu überführen. In der nächsten Folge starten wir mit der schnittigen Karre dann von dort aus zu ersten Ausflügen in die weitere Umgebung unseres Domizils...
Abgelegt in: Expeditionen • 10. Okt.. 2014, 10:30 Uhr • Diskussion eröffnen
Mit dieser in der Londoner U‑Bahn immer wieder und allerorten zu hörenden Durchsage soll die Aufmerksamkeit der Reisenden auf den latent lebensgefährlichen Spalt zwischen Zug und Bahnsteig gelenkt werden. Die Gedanken des zonebattler’s indes wurden damit noch auf eine klaffende Lücke zeitlicher Art gerichtet: Vor etwa 25 Jahren war er zum letzten Mal in der Hauptstadt des Britischen Empires, und während die Erinnerung an damals nur noch bruchstückhaft in seinen Synapsen flackert, hat er diesmal mit wachen Sinnen genossen, in sein Hirn gebrannt und auf seinen Speicherchip abgelichtet, was die Stadt, das Wetter und die zahllosen Kulturtempel hergaben:
Das Wetter prächtig, die Museen mächtig: Was wollte man mehr? Für den trunkenen zonebattler steht fest: Bis zum nächsten London-Trip läßt er kein Vierteljahrhundert mehr verstreichen!
Abgelegt in: Expeditionen • 15. März. 2014, 8:15 Uhr • 4 Kommentare lesen
Für die hier vorgesehene(n) Abbildung(en) konnten nicht alle eventuell tangierten Lizenz- und/oder Urheberrechtsfragen mit letzter Gewißheit geklärt werden, weshalb auf eine kenntliche Darstellung leider verzichtet werden muß.
Begegnung beim jährlichen Kunst-Event »Offen Auf AEG« in Nürnberg
Abgelegt in: Kulturelles • 14. Sep.. 2013, 19:01 Uhr • Diskussion eröffnen
Über den neuesten Blog-Eintrag von Freund Lexikaliker bin ich auf der Website der Künstlerin Jessica Drenk gelandet und bin nachgerade hingerissen von deren wunderbaren Skulpturen und Installationen aus Bleistiften, porzellanisierten Klopapier-Rollen, Q‑Tips und anderen ungewöhnlichen Ausgangsmaterialien. Anschauen lohnt (ungeduldige Naturen verschaffen sich über die Google-Bildersuche einen schnellen Überblick über das eindrucksvolle Œuvre der amerikanischen Meisterin)!
Abgelegt in: Empfehlungen • 23. Nov.. 2012, 6:39 Uhr • Diskussion eröffnen
In seinem Vortrag »The math and magic of origami« bringt uns Robert Lang den Zusammenhang von Mathematik und Origami auf kurzweilige Art und Weise näher. Die gezeigten Beispiele sind absolut verblüffend! Deutsche Untertitel und eine deutsche Übersetzung sind verfügbar. Man sehe und staune!
Abgelegt in: Empfehlungen • 23. Sep.. 2012, 12:52 Uhr • Diskussion eröffnen
Der Fürther Künstler Egon Junge stellt zur Zeit seine »Bilder aus Beton« in der Fürther Volksbücherei aus. Man erkennt an der Formensprache den Einfluß seines Freundes und Lehrers David Krugmann, ebenso klar ist freilich, daß Egon Junge sich mit seinen aktuellen Werken auf einen durchaus eigenen Weg begeben hat. Mir gefällt der zwischen 50er-Jahre-Abstraktheit und archaischer Volkskunst changierende Stil.
Die ambulanten Schnappschüsse habe ich neulich während der sehr gut besuchten Vernissage gemacht und hatte meine liebe Not, sie frei von mir vor die Linse laufenden Leuten zu halten. Bis Mitte Oktober ist die Ausstellung noch zu sehen, die Fürther Nachrichten würdigen die Schau unter der Überschrift »Handfeste Struktur«.
Abgelegt in: Kulturelles • 1. Sep.. 2012, 17:50 Uhr • 1 Kommentar lesen
Der Nürnberger Klarissenplatz ist um eine temporäre Attraktion reicher: Der dänische Künstler Jeppe Hein, über dessen weiland famose Ausstellung im benachbarten Neuen Museum ich bereits berichtete, hat ein traumhaft schönes Stück kinetischer Kunst errichtet, dem die Bezeichnung »begehbarer Brunnen« nicht annähernd gerecht wird:
Der »Hexagonal Water Pavilion« besteht aus insgesamt 16 Reihen von eng benachbarten Spritzdüsen, die – angeblich zufallsgesteuert – für kurze Zeit »Wände« aus Wasser entstehen lassen. So richtig willkürlich scheint mir die Ansteuerung indes nicht zu sein, es sieht mir eher nach einem – wenngleich komplexen – sich wiederholenden Ablaufmuster aus.
Was freilich der kreatürlichen Freude am feuchten Element keinen Abbruch tut: Alte, Junge, Große und Kleine bestaunen und bespielen die im Wortsinne »unfaßbare« Installation mit großer Anteilnahme. Und auf einmal hat der ansonsten recht ruhige, ja mitunter abweisend wirkende Platz die von Stadtplanern gern herbeizitierte »hohe Aufenthaltsqualität«!
Wer sich am fröhlichen Treiben delektieren oder gar selbst zwischen den Tropfen-Vorhängen lustwandeln möchte, muß sich nicht sputen: Bis zum 28. Oktober 2012 bleibt der Kunst-Brunnen vor Ort und spendet Spaß und ein angenehmes Mikroklima. Ich hätte ihn da gerne für immer...
Abgelegt in: Ansichtssachen • 29. Mai. 2012, 19:00 Uhr • 3 Kommentare lesen
Die aktuelle Ausstellung »Kulturlandschaften – Architektur prägt Lebensräume« der Nürnberger Galerie Atzenhofer sei hiermit meiner interessierten LeserInnenschaft wärmstens ans Herz gelegt und empfohlen. Ein kleiner Einblick in das dort Gebotene findet sich in diesem Artikel, den vor Ort aufgetischten Kuchenspezialitäten aus dem Ofen der Hausherrin Lydia Schuster wird keine Beschreibung auch nur annähernd gerecht, die müssen selbst verkostet werden...
Abgelegt in: Empfehlungen • 10. März. 2012, 6:03 Uhr • 2 Kommentare lesen
Das Führen eines Weblogs, also abgekürzt das Bloggen, ist nach gängiger Meinung ein relativ neumodischer Hype, mittlerweile angeblich sogar ein bereits wieder abflauender solcher. Im Nachhinein betrachtet kann meiner einer mit Fug und Recht behaupten, bereits in den späten 1970er Jahren – zusammen mit einer Handvoll Schulkameraden – das Bloggen in seiner heutigen Form erfunden zu haben, komplett mit chronologisch gereihten Artikeln, fortlaufend nummerierten Kommentaren, Kreuz- und Querbezügen sowie allerlei eingebundenen Bildern und Medien. Und das alles ohne Strom, ohne Computer und ohne Internet, an das ja damals noch keiner dachte. Die nachgerade visionäre Geschichte sei nachfolgend erzählt!
In den letzten Schuljahren vor dem Abitur hatten wir einen Religionslehrer, bei dem pädagogische Neigung, Motivationsfähigkeit und persönliche Autorität jeweils unterhalb der Nachweisbarkeitsschwelle lagen, also allenfalls in homöopatischer Dosierung vorhanden waren. Theologisch sattelfest mag der Mann dagegen gewesen sein, was ihn erhobenen Hauptes sein Lehramt ausüben ließ: Die Aussicht auf einen Platz im Paradies ließ ihn sein Kreuz tragen, das Abhalten von Unterricht war für einen Mann seines Schlages zweifellos das persönliche Martyrium...
Um uns renitenten Schölern und subversiven Subjekten den Unterricht halbwegs erträglich zu gestalten, diente uns das Fach Religion naturgemäß in besonderem Maße dem Gedankenaustausch, wenn auch auf andere Weise als vom Lehrer vorgesehen: Wir schwätzten wie schnatterhafte Erstklässler und untergruben damit die ohnehin nicht vorhandene Autorität der armen Lehrkraft auf das Schamloseste. Immerhin bewiesen wir irgendwann ein Restmaß von Erziehung und Kinderstube, indem wir den geräuschbehafteten Diskurs verschriftlichten und allerlei Notizen auf Zettel (insbesondere auch auf Löschpapier) schrieben, die wir uns als Kassiber weitgehend lautlos zuschoben. Das blieb natürlich auch nicht unbemerkt, aber der Pädagoge ließ in ebenso stummer wie verzweifelter Komplizenschaft fürderhin uns in Ruhe und wir ihn.
Meine Mutter arbeitete damals im Büro eines Bauunternehmens und brachte mir von dort eines Tages ein paar unbenutzte Papierrollen mit, wie sie seinerzeit in elektromechanischen Tischrechnern weite Verwendung fanden: Eine neu beschaffte Rechenmaschine benötigte Protokollierpapier in einem anderen Format, wodurch der vorhandene Restbestand an Rollenware für die ausgemusterten Vorgängerin überflüssig geworden war. Man ahnt, wie es weiterging: Eines Tages hatte ich die gloriose Idee, das spätpubertäre Palaver der vom Religionsunterricht angeödeten Kindsköpfe von der Loseblattsammlung auf die Rolle zu bringen. Der Erfolg ließ nicht auf sich warten: Das kuriose Teil wurde sofort allgemein akzeptiert und diente fürderhin als Grundlage der außercurricularen Kommunikation im Fach der katholischen Religionslehre.
Den einsatztechnischen Erfordernissen folgend, implementierten wir bald allerlei Verbesserungen: Sehr schnell wurde es beispielsweise unpraktisch, zu Beginn der Religionsstunde den bereits beschrifteten Teil der Rolle auf- und abzuwickeln, um bis zum unbeschrifteten Teil zu gelangen und dort weiterzumachen. Wir lösten das mit Wäscheklammern, die den bereits beschriebenen und zu einer neuen Wicklung gerollten Teil sicher zusammenhielten. Ferner erwies es sich vom Start weg als diffizil, auf zurückliegende Äußerungen zu rekurrieren und diese zu referenzieren, weswegen wir darauf verfielen, die Beiträge – rückwirkend bis zum Anfang – feinsäuberlich und gut erkennbar zu nummerieren.
Solcherart verfeinert, wurde das inzwischen auf den Namen »Kommunikationsrolle« getaufte Konstrukt nach Art indianischer Friedenspfeifen von einem Diskutanten zum anderen gereicht und nach schriftlicher Kommentarabgabe weitergegeben. Das Bild von der Friedenspfeife ist freilich insofern mißverständlich, als es Harmonie und Sittsamkeit im Umgang miteinander suggerieren mag. Von beidem indes konnte nicht die Rede sein: Wir verfaßten infantile Schmähtiraden aufeinander, die in dreieinhalb Dekaden Abstand erneut zu entziffern mitunter nachgerade peinlich ist. Auch das muß freilich als prophetische Vorwegnahme einer fernen Zukunft gelten, wie der Vergleich mit vielen virtuellen Diskussionsplattformen der Neuzeit anschaulich beweist!
Ein eineinhalb Jahre nach dem Abitur unter dem Namen »Meditationsrolle« aufgesetztes Folgeprojekt mit teilidentischem Teilnehmerkreis konnte an den Erfolg des Vorläufers nicht mehr anknüpfen: Zu weit auseinander lagen die Lebensentwürfe und die Wohnsitze der Schreiber, zu lange waren die Pausen und zu teuer das Porto im analogen Zeitalter. Geschadet hat uns übrigens diese sozialverträgliche Kanalisierung des juvenilen Kommunikationsbedürfnisses nicht: Der eine meiner regelmäßigen Co-Autoren hat später das mp3-Musikkompressionsverfahren maßgeblich (mit-)erfunden, der andere pilotiert Jumbo-Jets um den halben Globus, ein Gast-Autor (auch das gab es damals bereits) führt heute ein innovatives HighTech-Unternehmen an vorderster Front der Forschung. Ich selbst habe es ja immerhin bis zum zonebattler gebracht…
Wie die eingestreuten Fotos dokumentieren, habe ich die wertvollen Zeitzeugnisse bis heute aufbewahrt, möglicherweise in unterbewußter Antizipation ihrer späteren historischen Relevanz. Für eine adäquate Präsentation im Rahmen einer öffentlich zugänglichen Dauerausstellung schwebt mir ein minimalistischer Museumsbau von etwa drei Metern Breite und Höhe sowie ca. 100 Metern Länge vor: In der Mitte des Raumes würden die entrollten Papierbahnen auf einer schmalen Mauerreihe von ca. 1,20 Metern Höhe unter Glas gezeigt und dem interessierten Publikum die Gelegenheit gegeben werden, sich vom verblaßten Anfang bis zum vergilbten Schluß durch die dadaistische Traktatensammlung zu lesen.
Neben eher banalen Aktivitäten wie Standortauswahl, Grundstückserwerb, Baugenehmigungsantrag, Trägervereinsgründung etc. bereiten mir derzeit noch die ungleich diffizileren Fragen konservatorischer, datenschutzrechtlicher und unternehmerischer Art einiges Kopfzerbrechen: Wie muß man die fragilen Exponate lagern, belichten und belüften, um sie auf Dauer der Nachwelt erhalten zu können? Muß man zur Wahrung von Persönlichkeitsrechten eingestreute Eigennamen unkenntlich machen? Kriegt man für den gewinnorientierten Abverkauf im angegliederten Museumsshop heutzutage überhaupt noch Registrierkassen-Rollenpapier organisiert, welches eben nicht für Thermodrucker gedacht ist, sondern zur ambulanten Beschriftung mit Bleistift oder Kuli geeignet ist? Alles nicht so einfach! Die Personalfragen immerhin sind bereits geklärt: Die Stellen von Direktor, Kurator, Museumsführer, Hausmeister und Putzmann besetze ich in Personalunion alle selbst, Betriebsrat und Gleichstellungsbeauftragte wären damit schon konzeptionellerseits obsolet.
Sobald ich auf diese Fragen befriedigende Antworten gefunden habe, werde ich mich mit ganzer Kraft diesem noblen (und überdies künstlerisch außerordentlich wertvollen) Ausstellungsprojekt widmen und dieses Blog hier schließen. Selbstreferentielle Spielwiesen wie diese gibt es im digitalen Zeitalter mehr als genug: »Kommunikationsrolle« und »Meditationsrolle« als ihre analogen Vorläufer und Urahnen hingegen nur je einmal!
Abgelegt in: Nostalgisches • 3. Sep.. 2011, 17:18 Uhr • 17 Kommentare lesen
Abgelegt in: Spurensuchen • 23. Aug.. 2011, 6:33 Uhr • 2 Kommentare lesen
Abgelegt in: Vermischtes • 9. Aug.. 2011, 1:04 Uhr • Diskussion eröffnen
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Süßer und scharfer Senf: