Sonntag, 11. November 2018
Man sollte ja meinen, daß einem während eines naturnah verbrachten Urlaubs auf dem Lande primär querformatige Motive vor die Linse kommen. Tatsächlich muß der zonebattler aber verblüfft konstatieren, daß er selten so viele Hochformat-Aufnahmen mit nach Hause gebracht hat wie aus der Sommerfrische in Rumänien! Das liegt natürlich zuförderst an den mehrfach erwähnten, jedoch bis dato in dieser Reise-Reprise nicht gezeigten Kirchenburgen und sonstigen Hochbauten der fotogenen Sorte. Ein weithin berühmtes Motiv ist der Stundturm von Sighișoara alias Schäßburg, und der schaut nun wirklich so aus, wie sich der gemeine Vampir-Fan die perfekte Kulisse für nächtlich-gruseliges Treiben vorstellt:

Sighișoara ist ein markantes Beispiel für einen an sich sehr schönen Ort (das historische Zentrum gehört seit 1999 zum UNESCO-Weltkulturerbe), welcher jedoch durch touristische Heimsuchung – angeblich bis möglicherweise wurde Vlad Țepeș (Vlad III. Drăculea, der Pfähler) hier vor rund 600 Jahren geboren – einiges von seinem natürlichen Charme eingebüßt hat. Die heimische Wirtschaft und auch Teile der Gastronomie machen sich den Dracula-Hokuspokus zunutze, um mit mildem Grusel Publikum und Gäste anzulocken. Wirklich gruselig sind indes die allerorten feilgebotenen Souvenirs aus fernöstlicher Produktion: Bei deren Anblick würde sich der originale Graf Dracula (so es ihn denn gäbe) wohl selbst schaudernd abwenden...
Wir wenden uns nicht ab, sondern weiterhin zu, und zwar weiterhin den aufrechten Zeugen der landesspezifischen Architektur! Hier sehen wir die mustergültig instandgehaltene, evangelische Kirche zu Mălâncrav (Malmkrog):

Wir waren dort zwecks Besuchs eines kleinen transsilvanischen Klassik-Musikfestivals, dessen Ausführende samt Troß zur Zeit unserer Visite in der Gegend unseres Weilens herumtingelten. Gleich neben der romanischen Kirche gibt es in Mălâncrav ein ungarisches Adelsschloß, in welchem die jungen Musiker ihr Können demonstrierten. Davon gibt es hier leider keine Bilder zu sehen, aus Diskretionsgründen ebenso wie aus meiner altersbedingt zunehmenden Neigung, kulturelle Höhepunkte im Moment ihres Entstehens sinnlich zu genießen statt sie mit letztlich untauglichen Mitteln irgendwie konservieren zu wollen. Eine Kirche läuft einem nicht weg (allenfalls tut es mittelfristig das passende Licht), daher konnte der eindrucksvolle Sakralbau dann stellvertretend für das Gesamterlebnis seinen Weg durch das Objektiv und letztlich hier hinein in des Berichterstatters Blog finden...
Ein kleiner Sprung durch Zeit und Raum bringt uns nach Copșa Mare oder auch Groß-Kopisch, einem recht idyllischen Ort östlich von Biertan (Birthälm), den wir von dort aus erwandert haben. Vorbei an Brunnen, kleinen Katen, kichernden Kindern und kläffenden Kötern überwanden wir zu siebt (vier Erwachsene, zwei Kinder, ein braver Hund) einen Höhenzug, um schließlich nach dem Konsum von Eis und kalten Getränken aus dem winzigen Dorfladen vor dem natürlich auch hier vorhandenen Turm einer Kirchenburg zu stehen:

Der rumänische Burgwächter (dessen Frau wohl mit der Einsamkeit und der zäh dahinfließenden Zeit in der siebenbürgischen Provinz weniger zufrieden war als der ihr rechtmäßig zugemutete Schlüsselbewahrer) hatte uns die Kirche aufgesperrt und sie uns dann zur eigenen Erforschung überlassen (viel zu erklären hätte er wohl ohnehin nicht vermocht, die Geschichte der Siebenbürger Sachsen ist ja nicht die seine). Also erklommen wir (abgesehen von Frieda, der lässigen Labradorin) den Turm der Kirche. Über hölzerne »Hühnerleitern« hinauf und über haufenweise Taubenkot hinweg bis zu den großen Glocken. Alles völlig unbeaufsichtigt und unter Begleitumständen, die es daheim in Deutschland definitiv so nirgends mehr gibt. Da wäre so ein Turm wegen Baufälligkeit verrammelt und verriegelt. [1] [2]
Mitten in fremden Landen Glocken mit deutscher Inschrift zu sehen fühlt sich anfangs schon ein wenig merkwürdig an, zumal auch die anderen Beschriftungen in der Kirche, verstaubte Gesangbücher und sonstigen gedruckten Hinterlassenschaften sämtlich auf Deutsch verfaßt sind. Schnell werden da Assoziationen an apokalyptische Endzeit-Geschichten geweckt, mitunter kommt man sich in den entlegeneren Kirchen tatsächlich wie der letzte Mensch auf Erden vor. Man gewöhnt sich natürlich daran, aber es ist schon eigenartig, sich das jahrhundertelange Nebeneinander von Rumänen, Siebenbürger Sachsen und anderen Volksgruppen vorzustellen, die alle ziemlich konsequent unter Ihresgleichen blieben, statt sich langfristig zu einem Volk zu vermengen...

Der Blick zurück auf Copșa Mare und seine Kirchenburg zeigt eine vermeintliche Idylle, die typisch ist für Siebenbürgen, jenem Landstrich in der Mitte Rumäniens, in der die Vergangenheit noch überall offen zu Tage liegt. Diese zu Fuß zu erwandern und zu erkunden ist ungleich befriedigender als das Hingefahrenwerden im Reisebus mit jeweils 20 Minuten Knips- und Pinkelpause vor der Weiterfahrt zur nächsten Sehenswürdigkeit! Der zonebattler und seine bessere Hälfte waren sich jedenfalls einig: Lieber eine Handvoll intensiv inspizierter Kirchenburgen in der Erinnerung behalten als zwei Dutzend nur en passant fotografierte hinterher kaum noch zuordnen zu können.
Wenn wir nach unseren täglichen Exkursionen wieder »daheim« in Richiș angekommen waren, gaben wir uns fast jeden Abend der Süße des Müßigganges hin, machten erst ein kleines Nickerchen, nickten anschließend den immergleichen Statisten vor der Dorfbar zu und ließen uns überraschen von dem, was uns so vor die Augen kam. Eine erstaunliche Entdeckung waren akribisch geführte, prä-excelitische Tabellen aus den 1920er Jahren, in denen in schönster Handschrift festgehalten war, wer in welchem Haus des Dorfes wohnte und wieviel Stück Vieh und »Zünder« besaß:

Der amtliche Charakter der Dokumente war offenkundig, der aus ihnen wabernde Geist des deutschen Berufsbeamtentums ebenso. Indes war die ehedem germanische Grundordnung der Erosion preisgegeben: Eine im ehemaligen Pfarrhaus eingemietete Zigeunerin [2] hatte die Archivalien am Dachboden gefunden und kurzerhand zu legitimer Marketenderware erklärt in der Hoffnung, die ihrem Verständnis verschlossen bleibenden Schriftstücke an Touristen wie uns verhökern zu können. Der Gewinn liegt bekanntlich im Einkauf, und bei weggefundenen Antiquitäten mit Einstandspreis Null wäre auch der bescheidenste Erlös als Gewinn zu verbuchen. Daß damit historische Erkenntnisse und Kontexte unwiederbringlich dahin sind, hat schon altägyptische Grabräuber nicht gestört, was wollte man da von einer simpel gestrickten und mutmaßlich kaum bis wenig gebildeten Landfrau erwarten? Wir haben jedenfalls nichts gekauft von ihrer papierenen Beute, um derlei Tun nicht auch noch zu ermutigen...
Ein neuer Tag, ein neues Abenteuer: Statt die gut vier Straßenkilometer nach Biertan mit der Nachbarn Fahrräder zu erstrampeln, zogen wir zu Fuß los, um nach Überquerung des nächsten größeren Geländebuckels in einem parallel verlaufenden Tal zum Nachbarort zu marschieren. Auf stark ausgespülten Wirtschaftswegen ging es zunächst forsch bergan, und immer wieder gab es einen Grund anzuhalten, um sich Fauna und Flora näher zu besehen. Meine Güte, dachte sich der schwitzende Chronist bei einer dieser Gelegenheiten, wie lange hast Du schon keinen Schwalbenschwanz mehr gesehen? Und dieser prächtige Flattermann hier posiert geradezu keck vor Deiner Kamera und will partout im Bilde festgehalten werden! Na gut, man ist ja betörenden Schönheiten jederzeit gerne und eilfertig zu Diensten:

Auch weniger augenfällig herausgeputzte Sechsbeiner haben wir in großer Zahl und Vielfalt angetroffen. Tatsächlich wird einem durch das allgegenwärtige Gewimmel und Gesumme in Siebenbürgens Wald und Flur erst so recht vor Augen und Ohren geführt, daß das vielzitierte Insektensterben in Deutschland und Zentraleuropa keine hohle Panikmache, sondern längst bedrohliche Realität ist. Da kann man nur hoffen, daß Monokulturen und Chemiekonzerne nicht auch noch Osteuropas Ökosysteme auf Dauer verarmen lassen...
Im drübigen Tal begann dann erstaunlicherweise eine wunderbar ausgebaute und präzise asphaltierte Straße im faktischen Nichts: Kein Ort, kein Haus, kein sonstiger ersichtlicher Grund, warum eine Straße dieser Güte just hier beginnen oder enden sollte! Es ging einfach los und aus dem staubig-sandigen Wirtschaftsweg in the middle of nowhere wurde von einem Schritt zum nächsten eine perfekt markierte Fahrbahn:

Kilometerlang ging es so voran, selbstredend mit glänzenden neuen Stoppschildern an allen einmündenden Wegen, denen man getrost eine durchschnittliche Verkehrsdichte von 1,5 Fuhrwerken/Woche unterstellen darf. Als erfahrene Inselreisende ahnten wir die Hintergründe natürlich schon lange, bevor wir am Ortseingang von Biertan unser Wähnen auf einer großen Informationstafel bestätigt sahen: Im Rahmen eines vom Land mit 0 EUR, aber von der Europäischen Union mit knapp 1.000.000 EUR geförderten Infrastrukturprojekts wurde hier ein Stück Fortschritts auf (nicht etwa in) den Sand gesetzt, auf den die Beteiligten mächtig stolz sind. Man mag sich fragen, ob man mit dem Geld nicht besser die immer noch unbefestigten Staubstraßen innerhalb des nicht ganz unbedeutenden Städtchens Biertan hätte asphaltieren können. Man mag sich ferner darüber echauffieren, daß der europäisch-föderale Geldregen immer nur Neues kurzfristig erblühen läßt, zu dessen laufender Unterhaltung danach aber keine Mittel mehr da sind, weshalb die Natur sich unverzüglich anschickt, sich alles wieder langsam zurückzuerobern. Hilft aber alles nix: Wenn die einen schlau genug sind, formgerechte Förderanträge zu stellen, und die anderen sich nicht mit dem Papierkrieg befassen wollen, dann fließt das Geld halt zu den Gewiefteren, auch ganz ohne Korruption. Die es dem Vernehmen nach in Rumänien aber auch noch in reicher Auswahl geben soll...
Kurz vor Biertan und in Sichtweite besagter Infotafel geht der Asphalt wieder in Sand und Staub über, was für ein ortsübliches Vehikel mit zwei PS ja auch den allemal stimmigeren Unter- und Hintergrund abgibt:

Die Topographie der von uns bereisten und inspizierten Dörfer folgt meist dem gleichen Schema: Innen die soliden Höfe und Häuser der Siebenbürger Sachsen, drumherum die einfacheren und kleineren Häuschen der Rumänen, draußen an der Peripherie die schäbigen Hütten bis unwürdigen Verschläge der Roma und anderer unterprivilegierter Volksgruppen. Mit dem Exodus der deutschstämmigen Bevölkerung, also nach der Auswanderung der meisten Siebenbürger Sachsen, hat sich das »Vakuum« bald durch Nachzug von außen gefüllt. Darüber gäbe es vieles zu lesen und auch zu schreiben, hier sei nur festgehalten, daß natürlich auch heute noch (oder wieder) die besser Gestellten die gediegeneren Häuser im Ortskern bewohnen und die Armen draußen in den Beinahe-Slums hausen...
So, dann wollen wir mal nach diesen Betrachtungen mit wenigen weiteren Schritten endlich das Ziel unserer Wanderung erreichen und sozusagen »von hinten reinkommend« die grandiose Kirchenburg von Birthälm erspähen:

Im 16. Jahrhundert erbaut und von einer dreifachen Ringmauer umgeben, ist dieser trutzige Gotteshauskomplex geradezu der Inbegriff einer Siebenbürgischen Kirchenburg und hätte beste Aussichten auf einen der vordersten Plätze in einem hiermit imaginierten Ranking der Prächtigsten ihrer Art! Über die Baugeschichte und die reiche Innenausstattung möge sich die interessierte Leserschaft im oben verlinkten Wikipedia-Artikel informieren. Der Endesunterfertigte beläßt es für heute beim Hinweis auf ein wunderbares Foto der Kirchenburg zu Birthälm, in dessen Hintergrund etwas zu sehen ist, was unbedarfte Beobachter vielleicht gar nicht auf Anhieb erkennen und richtig einordnen können: Die Rede ist von den Terrassierungen, die heute sinnlos erscheinen mögen, aber auf die frühere Nutzung des Hanges als Weinberg hinweisen. Davon wird in den nächsten Folgen dieses Reise-Rapports noch die Rede sein, für heute sei es nunmehr genug. Fortsetzung folgt!
[1] Wobei sich der Berichterstatter dunkel daran erinnert, in Thüringen kurz nach der Wende im Rahmen eines Inspektionsbesuches auch schon mal einen baufälligen Kirchturm unter vergleichbar verwegenen Rahmenbedingungen erklommen zu haben. Was in der Ex-DDR mit dem Mauerfall zu Ende ging, ist im Rumänien der Jetztzeit hier und da noch gegenwärtig – im Guten wie im Schlechten.
[2] Leider hat der lange Zeit unkontrollierte Zugang zu den verlassenen Kirchenburgen diesen oft schwer zugesetzt durch Plünderung und Vandalismus. Die einst nicht unbedingt außerordentlich prächtige, sicherlich jedoch ordentliche Orgel der Kirche von Copșa Mare ist gegenwärtig in desolatem Zustand: Viele ihrer Pfeifen wurden von Metalldieben grob herausgerissen und abtransportiert, womit das nun nicht einmal mehr aus dem »letzten Loch« pfeifende Instrument jenseits aller realistischen Hoffnungen auf Reparierbarkeit zum traurigen Sperrmüllhaufen degradiert worden ist...
[3] Mit dieser ortsüblichen Typisierung ist durchaus keine Diskriminierung beabsichtigt, die Roma in Rumänien bezeichnen sich mitunter ja selbst als țigani. Der allzeit auf Komplexitätsreduktion bedachte zonebattler differenziert ungeachtet ethnischer Herkunft, Geschlecht, Hautfarbe und Nasenlänge stets nur nach ihm sympathischen und ihm unsympathischen Menschen. Das hat sich jederzeit und jedenfalls bewährt und reicht zum Bestreiten des Alltagslebens auch allemal aus.
Montag, 10. September 2018
Ich hatte ja schon unlängst unter dem reißerischen Titel »Schaurige Schönheiten« ein paar schwarzgeweißte Fotos aus dem heurigen Urlaub als Appetitanreger gezeigt. Heute nun soll endlich etwas Farbe in die Erinnerungen an eine wunderbare Reise gebracht werden. Gleich vorneweg: Auch wenn in Transsilvanien alias Siebenbürgen mancherorts mit abstrusen Dracula-Legenden versucht wird, den Tourismus zu befeuern [1], die Realität ist eher bunt als düster und Blutsauger gibt’s dort wie hier wohl primär im Finanzgewerbe. Dennoch muß erneut zugegeben werden, daß wir Rumänien ohne die Anregung durch unsere befreundete und bilinguale Nachbarin Almut S. wohl niemals ernsthaft als Reiseziel erwogen hätten: Ein paar unverifizierte Vorurteile hat man halt doch irgendwie im Hinterkopf gehabt...
Besagte Nachbarin war nun schon eine gute Woche vor uns im Auto mit Mann, zwei Töchtern, einem Hund und allerlei Hausrat losgefahren, der zonebattler und seine bessere Hälfte flogen später mit nur einem einzigen Koffer beladen hinterher. [2] Am Flughafen von Sibiu (Hermannstadt) [3] vereinigte sich die Fürther Nachbarschaft und steuerte das etwa 80 km entfernte Richiș (Reichesdorf) an:

Unsere Nachbarn waren dort nicht zum ersten Mal (wir jetzt vermutlich auch nicht letztmals) und führten uns in die örtlichen Gegebenheiten ein. Wobei sich das Dorfleben sehr übersichtlich darstellte und der Aufenthalt dort entsprechend entspannend und entschleunigend. Zur Geschichte Siebenbürgens ist zusammenfassend zu sagen, daß dort mehr als 850 Jahre lang Rumänen, Ungarn, Zigeuner, Juden und deutsche Einwanderer friedlich nebeneinander her lebten – zwar in weitgehend geschlossenen Parallelgesellschaften, aber eben mit Respekt vor den jeweils anderen und sich nicht gegenseitig an die Gurgel gehend. Insofern kann die Gegend als leuchtendes Beispiel für die prinzipielle Möglichkeit einer weitgehend friedlichen Koexistenz verschiedener Volksgruppen, Ethnien und Religionen dienen. [4]
Heute sind die Spuren der deutschen Besiedlung der Gegend noch unübersehbar, die Siebenbürger Sachsen selbst allerdings nur noch in homöopathischer Dosierung ansässig: In zwei großen Auswanderungswellen in den 1970ern und nach 1990 sind die von großem Zusammengehörigkeitsgefühl geprägten Rumäniendeutschen aus Siebenbürgen nach Deutschland geschwappt und kommen heute überwiegend nur als »Sommersachsen« im Urlaub wieder für ein paar Wochen zurück ins Land ihrer Väter und der eigenen Vergangenheit. Natürlich auch nach Richiș, wo wir erstaunlich viele Autos mit deutschen Kennzeichen aus unserer Region sahen (FÜ, N, ER, SC, AN, ...). So sieht es in diesem typischen Straßendorf aus:

An der wechselnden Fassadenfarbe erkennt man sofort den immer wiederkehrenden Rhythmus aus Hofeinfahrt und Wohnhaus, der das straßenseitige Erscheinungsbild der Siebenbürgisch-Sächsischen Anwesen bestimmt. [5] Nach hinten gehen die Grundstücke sehr in die Tiefe und oft noch den Hang hinauf, so daß bei relativ schmaler Straßenfront viel Platz für Scheunen, Wirtschaftsgebäude, Ställe und Nutzgärten war. Interessierte LeserInnen mögen sich das mal vermittels Google Earth aus der Luft anschauen, die handtuchschmal erscheinenden Grundstücke fallen auf den ersten Blick ins Auge.
Was man leider auch sehr schnell registriert, sind die Spuren der Vernachlässigung, ja auch des Verfalls, dem die alten Häuser und Einrichtungen seit dem Auszug ihrer letzten deutschstämmigen Besitzer ausgesetzt sind: Auch wenn sich zwischendrin einige schöne Beispiele von behutsamer Instandsetzung und Renovierung finden (namentlich in Richiș haben sich großstadtmüde Menschen aus den Niederlanden, Belgien, Frankreich, England, Deutschland und sonstwoher recht preiswert eingekauft), so sind doch leider vielerorts etliche Anwesen leerstehend und in beklagenswertem Zustand. [6] Immerhin, in Richiș sieht es auf der Hauptstraße auch in der anderen Richtung noch (oder wieder) ganz gediegen aus:

Daß auf den beiden vorangegangenen Fotos nur ein Auto und ein Motorroller zu sehen sind, hat nichts mit beschaulichem Wochenende oder verkehrsarmen Tagesrandzeiten zu tun: Der motorisierte Individualverkehr ist auf dem Lande noch sehr überschaubar, hölzerne Fuhrwerke mit einer einzigen Pferdestärke vorne dran sieht man dort öfter als bereifte Bürgerkäfige aus Blech. Auch das ein Grund, warum uns die Sommerfrische in Siebenbürgen sehr gefallen hat.
Ein weiterer Grund waren die Begegnungen mit entspannten Menschen, seien es alte Sachsen, seien es junge Rumänen. Während wir mit den erstgenannten gut auf Deutsch über die früheren Zeiten plaudern konnten, konnten wir uns bei den zweitgenannten mit Englisch behelfen. Allerdings kann die völkerverständigende Eisbrecher-Rolle unserer »Dolmetscherin« Almut nicht stark genug betont werden, ohne deren Sprachkenntnisse uns manche Tür verschlossen und manches Erlebnis verwehrt geblieben wäre. Weitgehend wortloses Einvernehmen zum beiderseitigen Plaisir bestand (wie allerorts) zwischen dem zonebattler und seinen vierbeinigen Freunden. Hier sehen wir Entspannungsübungen von Herrn Paulchen, der uns während unseres Aufenthaltes ans Herz gewachsen ist und den wir nur unter Seufzen zurückgelassen (und einer ungewissen Zukunft überantwortet) haben:

Das kleine Paulchen wußte sich sehr anständig zu benehmen und sich damit den temporären Gästen im Ort nachdrücklich zu empfehlen. Sein charmantes Wesen brachte ihm viele Sympathien und sicherlich auch den einen oder anderen Leckerbissen ein. Anderen Hunden im Ort ging es weniger gut, denn man muß leider konstatieren, daß die Behandlung und Verwendung von Haus- und Nutztieren in Rumänien (wie fraglos auch in vielen anderen Ländern an Europas Peripherie) eher nicht den uns vertrauten Gepflogenheiten entspricht...
Hunde, Katzen, Hühner, Pferde, Kühe: In Siebenbürgens Dörfern läuft eine Menge Getier frei herum und weckte in unsereinem Erinnerungen an eine ferne Kindheit, als solche – aus Kindersicht paradiesischen – Verhältnisse auch in deutschen Landen Alltag waren. Überhaupt wurden in des Berichterstatters Gedächtnis allerlei verschüttete Erinnerungen aufgequirlt, als ihm typische Gerüche aus unbeschwerten Jugendtagen in die Nase stiegen, sei es das süßliche Aroma vergorener Trauben in einem behelfsmäßigen Weinkeller, sei es der üppige Geruchscocktail einer frisch gemähten Wiese mit großem Artenreichtum an Pflanzen. Unvermutete Flashbacks wie diese rührten den ollen zonebattler tatsächlich zu Tränen: Erstaunlich, was so alles irgendwo im Hinterkopf schlummern und nach einem halben Jahrhundert durch ein paar olfaktorische Schlüsselreize wieder aktiviert werden kann!

Richiș alias Reichesdorf war also unser zeitweiliges Zuhause, von dort aus unternahmen wir Wanderungen und kleine Expeditionen, per pedes, per Rad, per Pferdefuhrwerk oder per PKW. [7] Wobei es schon im Ort selbst und in dessen unmittelbarer Nachbarschaft viel zu entdecken gab für jemanden, der naturnahen Urlaub liebt und dem Trubel des städtischen Lebens zeitweise gerne entflieht.
Was einem sogleich auffällt außer dem typischen Erscheinungsbild der Häuser ist die Liebe der Rumänen (und wohl auch der im Lande verbliebenen Deutschen) zu Blumen. Allerorten leuchten bunte Blüten, nicht nur draußen am Wegesrand und in den Wiesen, auch innerorts an den Straßen, in den Höfen, vor den Häusern und nicht zuletzt auch an deren Fenstern:

Auch damit hatten wir nicht gerechnet: Unsere Reisen in südlichere Gefilde hatten wir immer im Frühling unternommen, um auf La Palma, Malta, Mallorca oder Teneriffa in den Genuß bunter Blütenpracht zu kommen. Im Spätsommer noch irgendwo üppiges Grün und farbenfrohe Blumen flächendeckend vorzufinden hätten wir nicht zu hoffen gewagt, zumal nicht nach diesem Dürre-Sommer in Deutschland. Ein weiterer Pluspunkt für unser neu entdecktes Reiseland Rumänien!
Nicht weniger üppig, wenn auch deutlich weniger schön wuchern überall die vom Menschen gelegten Adern des technischen Fortschritts: Strom‑, Telefon- und Internet-Kabel liegen nicht im Boden, sondern hängen in der Luft zwischen groben Betonmasten im weiland kommunistischen Brutalo-Design. Auch im Detail herrscht offenbar die Maxime »function first«, weshalb die Verstrickungen der Verstrippungen so aussehen, wie sie halt nun mal ausschauen:

Schön ist natürlich was anderes, aber ein gewisser Pragmatismus ist dem Landvolk ja überall auf der Welt zu eigen, ebenso wie eine souveräne Laxheit in ästhetischen Fragen. Nicht einmal der postmoderne Franke könnte sich hier guten Gewissens überlegen fühlen, kommt ihm doch allzuoft selbst ein schnodderiges »des dudd’s« über die Lippen...
Mit so einer Haltung kann man nicht nur ertragen, was feinsinnigen Geistern und kontrollbedürftigen Charakteren ein Greuel ist, nein, man kann sogar mit dem ungeplanten Werden und Vergehen um einen herum seinen Frieden machen. Und vielleicht sogar zu der Erkenntnis gelangen, daß die Natur nicht des Menschen Werk in zerstörerischer Absicht zu überwuchern angetreten ist, sondern ihm vielmehr ein Stück Schönheit zurückbringt in seine von ihm selbst ent-schönte kleine Welt:

Der westliche Wahn des Ausrottens allen Wildwuchses hat auf den (mäßig) wilden Osten glücklicherweise noch nicht übergegriffen, und unter anderem das macht den Charme Siebenbürgens aus. Der Exodus der Siebenbürger Sachsen (korrekterweise müßte man sie als rumänische Staatsbürger deutscher Nationalität titulieren) hat zwar vieles dem Niedergang überantwortet (von den Häusern über die berühmten Kirchenburgen bis hin zu den Weinbergen), indes wirkt der schleichende Fall auf den Besucher eher pittoresk und charmant sowie in der Regel nicht deprimierend. Wer Venedig kennt und dessen morbide Aura liebt, mag das nachvollziehen können. Übrigens sieht man von der real existierenden Armut in Rumänien selbst in den Städten deutlich weniger als in den urbanen Zentren im »reichen« Westen...
Als wahrlich reich anzusehen sind indes die Menschen, die zwar in bescheidenen, aber doch würdigen Verhältnissen zufrieden leben. Wie zum Beispiel jene Siebenbürger Sachsen, die weiland dem Herdentrieb widerstanden haben und in der angestammten Heimat zurückgeblieben sind. Wir durften solche kennenlernen. Aus Gründen der Diskretion zeige ich zur Illustration nur einen äußerlich Eindruck vom kleinen Paradies der bodenständigen Leute:

So, das war es dann für heute. Seitenlang über Siebenbürgen geplappert und nicht eine einzige Kirchenburg gezeigt! Macht aber nix, denn erstens bin ich ja schon in Vorleistung gegangen und zweitens macht(e) der Robert von nebenan ohnehin die besseren Bilder. Dafür ist der zonebattler zweifelsfrei die größere Plappertasche, so ergänzen wir beide uns prächtig. Im zweiten Teil geht es hier demnächst weiter mit bunten Ansichten und weiteren Schachtelsätzen aus dem Zentrum Rumäniens!
[1] Eine Strategie, die offenbar einigen Erfolg zeitigt. Immerhin hat das Anlocken unbedarfter Pauschal-Touristen mit depperten Draculantien den Vorteil, daß diese dann zumeist in den ohnehin überlaufenen und touristifizierten Städten verbleiben und sich eher selten ins noch weitgehend ursprüngliche Umland verirren...
[2] Von Nürnberg nach Sibiu (Hermannstadt) braucht ein Airbus der ungarischen Wizz Air noch nicht einmal zwei Stunden.
[3] In dieser Reiseberichterstattung werden Ortsnamen in offizieller rumänischer Schreibweise notiert, bei erstmaliger Nennung gefolgt vom deutschen Namen in Klammern.
[4] Diese vereinfachende Darstellung ist natürlich im Detail durchaus kritisch zu sehen. Beispielsweise hat sich in Deutschlands tausendjährigem Jahrzwölft der kollektive Rassenwahn auch unter den fernab des braunen Reiches lebenden Siebenbürger Sachsen breitgemacht. Dies näher auszuführen ist aber nicht das Thema dieser Urlaubs-Reprise.
[5] Was uns übrigens vor dem Urlaub nicht bekannt war: Die ursprünglichen »Siebenbürger Sachsen« kamen als willkommene Siedler aus dem Luxemburgischen, dem Rheinland und von der Mosel. Zu »Sachsen« machte sie der Weg über Mitteldeutschland, mit den »richtigen« Sachsen hatten und haben sie nichts zu tun. Ähnlich verhält es sich übrigens mit den »Banater Schwaben«, denen dieses mißweisende Etikett aufgeklebt wurde, weil die Auswanderer ihre Schiffsreise auf der Donau weiland in Ulm begannen...
[6] Landflucht ist natürlich auch in Rumänien ein Thema: Junge Leute zieht es in die Städte, wo es mehr Abwechslung und auch attraktivere Arbeit gibt (sprich besser bezahlte, zeitlich weniger ausufernde und nicht so körperlich anstrengende wie in der Landwirtschaft draußen)...
[7] Unsere Nachbarsfamilie aus Fürth hatte ja alles dabei (bis auf das Pferdefuhrwerk).
Mittwoch, 22. August 2018
Einen ihrer best Urlaube ever verbrachten der zonebattler und seine bessere Hälfte soeben in Siebenbürgen. Ohne die befreundete Nachbarin Almut S., die aufgrund Ihrer Herkunft doppelte Muttersprachlerin ist, hätte unsereins Rumänien vermutlich nie als mögliches Reiseziel ins Auge gefaßt. So aber hatten wir das Glück, eine mit der Gegend, den Menschen und ihrer Sprache vertraute Türöffnerin an unserer Seite zu wissen, was unsere Sommerfrische zu einem ganz besonderen (und nachhaltig wirkenden) Erlebnis werden ließ. Dazu wird später mehr zu erzählen sein, wenn die reiche Bild-Ausbeute der Reise gesichtet und gewichtet ist. Einstweilen mache ich meiner LeserInnenschaft Mund und Augen wässrig mit einer kleinen, künstlich entfärbten und leicht verdüsterten Vorschau...





Für den zur Melancholie und Wehmut neigenden Endesunterfertigten geriet die Expedition unverhoffter- und ungeplanterweise auch zum Flashback in die eigene Kindheit, was ihn durchaus kalt erwischte. Auch darüber demnächst mehr in diesem virtuellen Mini-Theater!
Montag, 30. Juli 2018
Samstag, 7. Juli 2018
Sonntag, 17. Juni 2018
Freitag, 20. April 2018
Samstag, 5. August 2017
Gestern abend, kurz vor Mitternacht: Der zonebattler geht nochmals raus auf den hinteren Balkon, um das Wetter für die Nacht und den heutigen Tag zu prognostizieren. Der Himmel wirkt einigermaßen klar, nur der Mond funzelt etwas trübe durch einen Dunstschleier hindurch. Eine dunkle Wolke zieht über ihn hinweg...
Aber Moment mal: Bewegt sich der Mond etwa selbst? Der Berichterstatter reibt sich die Augen und guckt nochmal genauer hin: Tatsächlich, der Erdtrabant scheint zu pendeln. Ist das Autosuggestion? Täuschen die sporadisch vorbeiziehenden Wolken eine Bewegung nur vor? Die bessere Hälfte wird herbeigerufen, um das Phänomen mit eigenen Augen zu prüfen und ggf. zu bestätigen.
Und in der Tat, wir sehen beide, daß der »Mond« eine leichte Pendelbewegung ausführt. Der Blick durch das Fernglas trägt nicht zur Aufklärung bei, dazu ist das kleine Ding nicht lichtstark genug. Wir tippen schließlich beide auf einen Ballon.

Heute morgen nun strahlte die Sonne zunächst dermaßen stark aus der gleichen Richtung, daß man sie mit der Hand beschatten mußte, um zu sehen, ob da noch was ist. Und tatsächlich, der »Mond« war als schwarze Silhouette gleich neben der Sonne zu erkennen. Und auch eine weitere Vermutung trifft zu: Die »Wolken« waren nichts anderes als aufgedruckte ALDI-Logos, die durch die Eigenrotation der Ballonhülle scheinbar vorübergezogen waren!
Damit ist alles klar: Unsere nahe ALDI-Filiale feiert nach erfolgtem Umbau ihre Neueröffnung im neuen Look. Der Werbeballon ist groß genug, um als Mond durchgehen zu können, rund genug, um sich nicht unten durch einen Schniepfel samt Seil zu verraten, und reflektierend genug, um durch das Streulicht der nächtlichen Stadt als gleichmäßig illuminiert zu erscheinen. Wieviele Anrufe wegen einer vermeintlichen UFO-Sichtung heute nacht wohl bei der Polizei eingegangen sind?
Dienstag, 18. Juli 2017
Donnerstag, 6. Juli 2017
Sonntag, 14. August 2016
Zu ihrer Geschichte und dem Bewahren historischer Zeugnisse haben die Schweden ein unverkrampftes Verhältnis. Da sie schon seit längerem keine kriegsbedingten Verheerungen im eigenen Land zu beklagen haben und infolgedessen keine zerbombten Städte wiederaufzubauen waren, mußten sie in den 1960er Jahren und später schon die sprichwörtliche Abrißbirne schwingen, um in ihren alten Stadtkernen großflächig Platz für Neues zu schaffen. Im Rückblick mögen viele das bedauern, denn was dann an Beton-Brutalo-Architektur nachfolgte, erscheint sensibleren Gemütern oft als böse Bausünde, das ist in Schweden nicht anders als in Deutschland.
Immerhin haben die Schweden vieles durch Translozierung gerettet, beispielhafte Altbauten also zu Museumsdörfern zusammengefaßt. Auch sowas kennt man aus hiesigen Landen, aber in Schweden gibt’s das deutlich öfters. Zum Beispiel in Gamla Linköping, wo man die Essenz des alten Ortskernes von Linköping in einer Zeitblase bewahrt hat:
Die in alten Läden und Kontoren untergebrachten Geschäfte, Werkstätten und Betriebe sind natürlich schon auf Touristen und Feriengäste abgestimmt und ausgerichtet, dennoch hat man nie den Eindruck, in einer künstlichen Disney-Land-Kulisse herumzulaufen: Das Gebotene hat Bezug zur Region, die Anlage ist gut geplant und die meisten Häuser sind von »richtigen« Einwohnern dauerhaft bewohnt. Zudem liegen Museumsdörfer wie Gamla Linköping nicht irgendwo ganz weit draußen, sondern an der Peripherie der Innenstadt, uneingezäunt und mit mehreren offenen Zugängen.
Wagen wir mal einen größeren Sprung (in der virtuellen Retrospektive kann man ja umstandlos machen, was in realiter eine Tagesreise bedeutet) nach Eskilstuna, der Partnerstadt Erlangens. Von der jahrhundertealten Tradition der Metallverarbeitung und Kanonenherstellung sieht und hört man dort heutzutage nicht mehr viel:
Einmal mehr begeisterte uns in diesem schmucken Städtchen (wie schon Tage zuvor in Norrköping) das Flanieren am Fluß entlang (hier Eskilstunaån geheißen). Wenig Autos, viel Grün, reichlich Kultur und Kreativwirtschaft in alten Backsteinfabriken, da ist ein halber Tag rum wie nix und man hat noch immer längst nicht alles gesehen, was einen interessieren könnte: Hier eine Kirche, da eine Promenade, dort ein Kunstmuseum...
Apropos Museum: in meinem Stockholmer Bilderbogen habe ich ja schon vor einiger Zeit die konservierte Vasa gezeigt, jene berühmte königliche Galeone, die auf ihrer Jungfernfahrt im Jahre 1628 schon nach etwa 1300 Metern Fahrstrecke kenterte und absoff. Nach mehr als 330 Jahren unter Wasser hat man das bestens erhaltene Schiff 1961 gehoben und geborgen und in ein nahes Trockendock geschleppt. An Ort und Stelle hat man dem wunderbaren Wrack später sozusagen das Vasa-Museum übergestülpt und zeigt dort heute anhand von vielfältigen Exponaten rund um das originale Schiff dessen ebenso tragische wie faszinierende Geschichte:
Der Besuch im Vasa-Museum ist fraglos ein »Muß« für jeden Stockholm-Besucher: Die Aura des echten Schiffes ist beeindruckend, die didaktische Konzeption der um das gigantische Gefährt herum errichteten Ausstellung beispielhaft. Ein Glücksfall, daß der Schiffsbohrwurm in dem landnahen Brackwasser keine Überlebenschance hatte: Der lokalen Abwesenheit dieses ansonsten weitverbreiteten Holzfressers verdankt die Menschheit die Überlieferung des weitgehend kompletten Schiffes als aussagestarke »Zeitkapsel«!
Nicht ganz so alt, aber gleichwohl nett anzuschauen sind andere historische Fahrzeuge, die man auf Stockholms Straßen im Einsatz sieht. Neben automobilen Oldtimern sind das zum Beispiel historische Straßenbahnen wie dieses fast fabrikfrisch wirkende Exemplar:
Ich hatte ja schon in der ersten Folge meines Reise-Rapports erwähnt, daß in Schweden vergleichsweise wenig Menschen auf vergleichsweise viel Fläche leben. Entsprechend leer sind die Straßen, entsprechend groß sind die Autos. Logisch, daß einem ausgewiesene Kleinwagen eher selten begegnen. Sogar in der Metropole Stockholm habe ich nur einen einzigen Smart gesehen, und der kam ausweislich seines Kennzeichens aus ... Coburg!
An dieser Stelle meiner Remineszenzen tropft mir nun unversehens der Sabber von der Unterlippe auf die Tastatur, hervorgerufen durch alliterationsinduzierte (Coburg -> Cornetto) Triggerung multisensorischer Erinnerungen an das ach so göttliche Lakritz-Eis:
Neben dieser in deutschen Landen unbekannten Eishörnchen-Variante gab es natürlich im Supermarkt auch ordentliche »Anstaltspackungen« zu kaufen, mit denen wir den Gefrierschrank unseres gastgebenden Freundes vollgeschlichtet haben zwecks kulinarischer Abrundung der langen Abende. Je mehr fränkischen Freunden und Bekannten ich davon erzähle, desto mehr muß ich freilich einsehen, daß Lakritze ein sehr polarisierendes Genußmittel ist: Den einen läuft – gleich mir – sogleich das Wasser im Munde zusammen, die anderen schütteln sich heftig ob der bloßen Vorstellung, sowas in den Mund zu nehmen. Zwischendrin scheint’s nix zu geben...
Aber egal. Wenn wir nun schon mal in Stockholm sind, machen wir noch einen Ausflug in die/den Skansen, ein weiteres, in diesem Fall weithin bekanntes und berühmtes Museumsdorf. Das existiert schon seit 1891 und bewahrt im Wortsinn großflächig die schwedische Volkskultur:
Auch diese Attraktion ist ein für jeden Hauptstadt-Besucher obligatorischer Programmpunkt, für den man sich (mindestens) einen halben Tag Zeit nehmen sollte. Wir waren übrigens sehr positiv überrascht von der fachlichen Qualifikation der in historische Kostüme gekleideten »Bewohnerschaft« des Museumsdorfes. Das profunde Wissen der Handwerker, Bäuerinnen und Mägde ging weit über das hinaus, was von »typischen« Besucherfamilien gemeinhin nachgefragt wird. Auch in komplexen historischen und wirtschaftlichen Zusammenhängen erwiesen sich die Damen und Herren als überaus beschlagen und sattelfest, wir gingen letztlich erheblich klüger wieder heraus, als wir hineingegangen waren. So soll es sein!
Den bis hierher gefolgten Leserinnen und Lesern gegenüber sei nunmehr eingestanden, daß des zonebattler’s höchst sprunghafte Erzähldramaturgie kein bewußt gewähltes Stilmittel ist, sondern doch nur Ausdruck von Planlosigkeit und Faulheit: Tatsächlich hat sich der Blubber-Blogger im Voraus 5 x 8 seiner schönsten Urlaubs-Fotos nach rein ästhetischen Kriterien herausgesucht und versucht diese im Nachgang einigermaßen stimmig verbal zu verbinden. Dank dieses entwaffnenden Bekenntnisses braucht es jetzt für ein weiteres »See-Stück« wohl keine weiteren Verrenkungen:
»Sweden in a nutshell« würde ich dieses prototypische Motiv wohl benennen, wenn ich denn für ein englischsprachiges Publikum schrübe: Wasser, Wald, Wolken, Romantik sowie allgegenwärtige Umsicht, Vorkehr und Sicherheit, all das und mehr findet sich hier in einem einzigen Ausschnitt kompakt zusammengefaßt wieder.
Wasser und Sicherheit sind auch die idealen Stichworte für etwas, was ich bislang weder erwähnt noch gezeigt hatte: Burgen und Schlösser nämlich, die landestypisch gern etwas gedrungener gebaut werden resp. wurden als wir relativen Südländer das so gewohnt sind. Das hier ist Örebro slott in Örebro, man beachte den eigens inszenierten Kontrast zu den neuzeitlichen Sitzgelegenheiten im Vordergrund:
Auch diese sehenswerte Stadt »eroberten« wir uns übrigens im Rahmen eines Tagesausfluges. Im Vergleich zu unseren herkömmlichen Rundreisen erwies sich der stationäre Aufenthalt an einem Ort – eben Grytgöl – als planerische Herausforderung: Einerseits wollten wir natürlich möglichst viele Facetten des uns bislang unbekannten Landes kennenlernen, andererseits mochten wir nicht einen Gutteil des Tages im Auto verbringen, nur um stundenlang streng tempolimitiert durch immerwährende Waldschneisen zu gleiten...
Na ja, es fanden sich in den knapp drei Wochen unseres Urlaubes genügend Ziele im 100-Kilometer-Radius, die des Ausrückens wert waren. Manches ließ sich auch ganz gut miteinander verbinden. Den einen oder anderen Tag blieben die Räder unseres weißen Volvos sogar gänzlich unbewegt und wir daheim bzw. in fußläufiger Nähe, was durchaus zur gründlichen Erholung und Entschleunigung beitrug. Der Effekt ist erfreulicherweise dermaßen nachhaltig, daß mit der fünften und letzten Folge dieser Reise-Reprise auch erst wieder in einer Woche zu rechnen ist!
Samstag, 6. August 2016
Nach einigen Tagen des erholsamen Aufenthalts kristallisierten sich für uns ein paar offenbar spezifische Merkmale des Schwedentums heraus. Der Schwede als solcher ist zunächst einmal noch ein richtiger Mann, von dem die paarungswilligen Weibchen zu Recht erwarten, daß er alle anfallenden Arbeiten am und rund ums Haus beherrscht und selbst leisten kann. Für die Errichtung und Instandhaltung der eigenen vier Wände wird externe Hilfe nur dann in Anspruch genommen, wenn’s gar nicht anders geht. Ansonsten greift der Schwede beherzt eigenhändig zu Säge, Axt und Hammer: Große Volvo-Kombis und riesige Baumärkte sind landauf, landab gang und gäbe und belegen des Schweden Hang und Drang zur Autarkie.
Traditionellerweise streicht der Schwede sein hölzernes Heim nach Fertigstellung in rostrot an; diese Tradition hat nicht nur ästhetische, sondern primär konservierende Wirkung gegen die Unbilden von Wind und Wetter, wie wir uns sagen ließen. Was immer in der Farbe an chemischen Keulen (weiland Abfallprodukte des Berg- und Hüttenwesens) versteckt sein mag, vorzeigbar ist das Ergebnis jedenfalls allemal:
Vom Herrn des Hauses wird ferner erwartet, daß er den Rasen rundherum kurz und gepflegt hält, weshalb es mit der idyllischen Ruhe auf dem Land eine relative Sache ist: Irgendeiner knattert immer mit (oder gar auf) seinem Benzin-Rasenmäher um seine Datsche herum, was bei den landesüblichen Parzellengrößen schon eine gute Weile dauern kann...
Große Grundstücke, große Abstände zum Nachbarn: Die splendid isolation bringt eine gewisse Zersiedelung der Landschaft mit sich. Damit die Postbotin nicht in bis zum Ende jeder Schotterstraße preschen muß, um ein Brieflein oder eine Gazette zuzustellen, geht sie mit ihrem rechtsgelenkten gelben Postauto an einer Batterie von Briefkästen lässig längsseits, um dann – ohne ihr Vehikel verlassen zu müssen – vom Liebesbrief bis zur amtlichen Vorladung alles in die schlüssellos aufzuklappenden Briefboxen zu stopfen:
Ja, postzustelltechnisch herrschen im Schwedenland Usuancen wie in den US of A. Die Briefkästen stehen weit vor der eigenen Haustür irgendwo an der nächsten Straßenabzweigung oder ‑kreuzung. Böse Buben mit sinistren Absichten scheint es auf dem weiten Land kaum zu geben. Vermutlich gäb’s eh nix Wertvolles zu stibitzen, Pakete werden ja wohl doch bis zum Empfänger gefahren oder beim Nachbarn abgegeben...
Was aber macht der gemeine Schwede, wenn die Post gelesen, der Rasen gemäht und die Frau – sofern vorhanden – unleidlich ist? Genau, er wirft Angel und Köder in den Kofferraum seines (Volvo-)Kombis und macht sich auf zum Wasser, genau gesagt zu jenem Gewässer, an welchem er sein Boot liegen hat. Dieses macht er mit wenigen Handgriffen seeklar und sticht in denselben, um die Seele und die hakenbeschwerte Angelschnur baumeln zu lassen. Der Korrespondent und seine bessere Hälfte waren eines Abends teilnehmende Beobachter einer solchen Veranstaltung:
Des Freundes Nußschale aus GFK bot Platz für uns drei, das angeltechnische Zubehör und natürlich auch für die beiden mitgeschleppten Blei-Akkus im Autobatterien-Format, die dem elektrischen Außenborder die nötige Energie zum lautlosen Gleiten über die abendliche Glitzeroberfläche des still ruhenden Sees lieferten. Glücklicherweise »fingen« wir letztlich nur ein paar Felsen und Schlingpflanzen, so daß sich die Frage zum ordnungsgemäßen Umgang mit lebendem Beutegut gar nicht erst stellte.
Wir springen wieder an Land und weiter zum nächsten Thema. Unser Freund und Gastgeber ist nicht nur zum Vergnügen in Schweden ansässig, er ist tatsächlich aus beruflichen Gründen dorthin gezogen.[1] Nachdem er vorher drei Jahre für seinen in Erlangen beheimateten Arbeitgeber in Shanghai und sonstwo auf der anderen Seite der Erdkugel tätig war, hat ihn das darauf folgende Engagement vom brodelnden Hexenkessel der asiatischen Großstadt ins sozusagen skandinavische Gegenteil verschlagen. Immerhin unterhält die SIEMENS AG in Finspång das einzige konzerneigene Schloß:
Die vor dem Gemäuer sorgsam in Stellung gebrachten Kanonen sollen die Firma wohl eher nicht vor einer feindlichen Übernahme bewahren, sie müssen als Remineszenz an die Produktpalette der Finspång’schen Eisen-Industrie vergangener Jahrzehnte und Jahrhunderte gelten. Wobei: In diesen turbulenten Zeiten von »Industrie 4.0« kann es nicht schaden, ein paar nicht-virtualisierte, handfeste Argumente mit Knalleffekt in der Hinterhand zu haben...
Herstellen tun sie heutzutage in dem großen, vor ein paar Jahren von ALSTOM übernommenen SIEMENS-Werk keine Knallbüchsen mehr, sondern Gasturbinen mittleren Kalibers. Selbstredend herrscht im von uns ausgiebigst besichtigten Produktionsbereich strengstes Fotografierverbot, aber immerhin darf ich hier auf eine offizielle Animation verweisen, die sehr schön zeigt, was Sache ist. Statt mit einem Fotos aus der Turbinenbau-Werkstatt kann ich selbst nur mit der (nicht minder repräsentativen) Kehrseite des siemensianischens Schlößleins dienen:
Das SIEMENS-Werk grenzt unmittelbar an den Schloßpark und ist überhaupt sehr unauffällig in die Landschaft eingebettet. Der zonebattler bekennt freimütig, derlei vorher noch nie gesehen zu haben: Schwerindustrie findet gemeinhin in trister bis desolater Umgebung statt. In Finspång sieht es eher nach Freizeitpark aus als nach dem Sitz eines Weltmarktführers im Anlagenbau. Der uns dort zuteilgewordene Blick hinter die Kulissen und das Erleben von cutting edge technology war für uns fraglos einer der Höhepunkte dieser Reise!
Zurück zur Natur: Zu gerne hätte ich ja mal einen mürrisch dreinblickenden Elch mit ausladendem Schaufelgeweih vor meine Linse bekommen, aber derlei Fotografenglück ist mir leider nicht zuteil geworden. Wie schon mal erwähnt, sind die offiziell als tagaktive Einzelgänger geltenden Paarhufer in der Praxis eher in der Dämmerung unterwegs, und da lag der zonebattler halt noch (oder schon wieder) im Bett respektive auf dem Sofa. Dafür gab es allerorten den höchst agilen Nachwuchs von Enten oder Schwänen zu sehen und zu knipsen:
Ein Dutzend Fotos habe ich allein von dieser Schwanenmama und ihrer sechsköpfigen Kinderschar geschossen, die munter paddelnd gemeinsam im Hafenbecken vor dem Schloß von Vadstena unterwegs waren. Mensch und Tier gehen hier und andernorts geschäftig, aber stets unaufgeregt ihrer Arbeit nach. Man kann sich sehr schnell an den beschaulichen Lebensstil gewöhnen...
Überhaupt scheint ganz Schweden – oder zumindest der Teil der Landes, den wir bereist haben – eine einzige Idylle zu sein. In der von üppigem Grün geprägten Gegend nehmen sich sogar latente Umwelt-Freveleien lieblich aus, wie der in Folge 1 gezeigte Traktor und dieser vor sich hin sedimentierende PKW demonstrieren:
Man beachte, daß nicht etwa die abgestellte Karre Gegenstand von und Anlaß zu sozialer Ächtung des Besitzers ist. Nein, verwerflich wäre es, den Rasen nicht ordentlich kurz zu halten, weswegen fein säuberlich um den Blechhaufen herum gemäht wird. Dies mutwillig zu unterlassen wäre hierorts wohl die eigentliche Schande...
Wiesen, Wälder, Wasser: Dem natürlich überall erreichbaren World Wide Web steht in Schweden gleichfalls flächendeckend ein wunderbares »WWW« im Realen gegenüber, an dem man sich nicht sattsehen kann. Zum Abschluß der heutigen Episode seien diese drei Elemente in einem Bild vereint gezeigt, sogar noch ergänzt um ein viertes »W« wie »Wolken«:
Wie gestrandete Delphine liegen sie da, die umgekippten Boote, und wirken angesichts ihrer elegant-schnittigen Form keineswegs wie Fremdkörper in der ansonsten unberührt erscheinenden Landschaft. Szenen wie diese finden sich an jedem größeren Gewässer, und da die allgegenwärtigen Kajaks und Kähne geduldige Modelle darstellen und durchaus länger als nur 1/125 Sekunde stillhalten, kann man sie auch gut in Ruhe malen statt sie nur en passant abzulichten...[2]
Das war es dann auch schon wieder für heute. Demnächst mehr!
[1] Mit dem Betreiben eines Bootes, eines Rasenmähers von Husqvarna, dem Hissen schwedischer Fähnchen am Haus sowie dem zügigen Erlernen der Sprache muß unser fränkischer Freund in Östergötland als mustergültig integrationswillig, ja geradezu als Assimilant gelten. Leider trifft das nur auf eine Minderheit von Expats zu: Die meisten von ihren Firmen ins Ausland entsandten Fachkräfte lassen sich von den Sitten und Gebräuchen ihres Gastlandes nur wenig benetzen und bleiben überwiegend unter sich. Selbst schuld!
[2} Was ich beispielhaft auch getan habe bzw. habe tun lassen, siehe dazu den ersten Kommentar unter diesem Beitrag.
Süßer und scharfer Senf: